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Eishockey-Boss Fasel: «Ich verkaufe meine Seele nicht»

Mit René Fasel steht ein Schweizer an der Spitze des Eishockey-Weltverbandes IIHF. An der WM freut er sich zurzeit über seine Landsleute, er streitet mit der NHL und outet sich als Fan der Kontinental Hockey League (KHL).

Südostschweiz
14.05.13 - 15:51 Uhr

Mit René Fasel sprach Hansruedi Camenisch

René Fasel, die Schweiz hat an der WM in Schweden bisher sämtliche sechs Partien gewonnen. Schlägt da das Herz des Präsidenten des Eishockey-Weltverbandes auch etwas höher? René Fasel: Natürlich bin ich froh, dass das jetzt einmal geschehen ist. Ich verneine meine Herkunft als Schweizer nicht. Als früherer Schiedsrichter bin ich aber auch sehr neutral. Besonders freuen mich die Schweizer Siege für Trainer Sean Simpson. Ich stufe ihn und seine Leistungen hoch ein. Als Nationalcoach hatte er in den letzten Jahren nicht immer das nötige Glück. Jetzt kommen seine Qualitäten zur Geltung. Ein Kompliment gehört aber auch den Spielern – es hat viele junge, hungrige in der Mannschaft. Sie zeigen totales Engagement und echten Teamgeist. Besonders fiel mir das während des Penaltyschiessens gegen Kanada auf. Die Chemie stimmt wirklich.

Was trauen Sie den Schweizern noch zu? Ja, das ist jetzt die grosse Frage. Es braucht immer auch ein bisschen Glück. Dass sagt selbst Roger Federer, wenn ein Aufschlag die Linie noch um Millimeter streift. Die Schweiz besitzt an dieser WM das Potenzial, um den Viertelfinal zu überstehen. Es wäre ihr zu gönnen. Eine Halbfinalqualifikation würde dem ganzen Eishockey im Land einen Schub vermitteln.

Wie wichtig ist die Schweiz für den Eishockey-Weltverband? Er hat ja seinen Hauptsitz in Zürich. Jeder Verband ist für uns wichtig und Teil der Eishockey-Familie. Es ändert jedoch nichts im System, dass punkto sportlichem Leistungsvermögen sechs, sieben grosse Eishockey-Nationen vor der Schweiz figurieren. Die Schweiz ist diesen aber näher gerückt. Erst vor ein paar Tagen sagte mir Tschechiens Nationalcoach Adam Hadamczik, «René, in vier, fünf Jahren ist die Schweiz auf unserer Höhe.»

Aber die Schweiz hat die Tschechen ja schon an dieser WM geschlagen … Im Eishockey braucht es enorm viel Zeit, um etwas aufzubauen, das dann auch Bestand und Konstanz hat. Je weniger Glück man zum Erfolg benötigt, umso besser ist ein Team. Die Fortschritte des Schweizer Eishockeys erkennt man auch darin, dass heuer Spieler wie Jonas Hiller, Luca Sbisa, Mark Streit, Raphael Diaz oder Damien Brunner in der National Hockey League mit ihren Teams die Play-offs erreichten. Ich glaube, dass die Schweiz nächstes Jahr an den Olympischen Spielen in Sotschi eine sehr interessante Mannschaft stellen wird. Eine Schlüsselrolle wird Torhüter Hiller einnehmen. Ja, wenn er so spielt wie in den letzten Jahren in der NHL, traue ich der Schweiz viel zu.

Apropos Sotschi: Kann man aus Ihrer Äusserung schliessen, dass die NHL-Stars an den Winterspielen definitiv dabei sind? Nein, der Entscheid ist noch nicht gefallen. Das Gestürm mit der NHL-Führung dauert nach wie vor an. Wir streiten zurzeit noch primär um die Kosten. Ich bin aber überzeugt, dass wir eine Lösung finden werden.

Die NHL soll für die Freigabe Ihrer Spieler für Sotschi Geld fordern. Ich werde meine Seele nicht verkaufen. Olympische Spiele finden nur alle vier Jahre statt. Sie sind etwas derart Spezielles, auch bezüglich Ausstrahlung und Geist, dass man sie nicht mit Geld kaufen kann. Eine Olympiamedaille ist für jeden Sportler das höchste, was er überhaupt erreichen kann. Da geht es nicht um Geld, das lasse ich nicht zu. Wir sind aber bereit, die Versicherungsprobleme für die Spieler mit der NHL zu lösen und all die heiklen Logistikfragen zu klären. Man darf nicht vergessen, dass die NHL, die jährlich gegen drei Milliarden Dollar umsetzt, wegen den Olympischen Winterspielen ihren Meisterschaftsbetrieb unterbrechen muss.

Um welchen Betrag geht es in diesem Zwist konkret? Das möchte ich nicht verraten. Es geht um Versicherungs-, Reise- und Logistikkosten. Als Anhaltspunkt kann ich Ihnen aber eine Zahl nennen: Pro WM bezahlt die IIHF für etwa 100 NHL-Spieler rund 1,5 Millionen Dollar für Versicherungskosten.

Sie haben eine besondere Affinität zum russischen Eishockey. Wäre es für Sie auch eine persönliche Niederlage, wenn die NHL-Stars in Sotschi nicht auflaufen würden. Für mich wäre es eine Niederlage, wenn ich meiner Linie nicht treu bleiben würde. Ich bin bereit, der NHL nein zu sagen, wenn die Forderungen eine gewisse Limite übersteigen.

Als Gegenbewegung zur NHL kommt die russisch geprägte KHL immer stärker auf. Gefällt Ihnen diese Entwicklung? Ich bin ein grosser Fan der KHL. Sie bildet einen gewissen Gegenpol zur NHL. Seit Jahren holt die NHL Spieler ohne Entschädigung aus europäischen Klubs, selbst wenn sie noch laufende Verträge haben. Da herrscht eine Gesetzlosigkeit, die jetzt einzelne Verbände individuell mit der NHL zu regeln versuchen. Die KHL respektiert hingegen die Nationalmannschaftstermine, und sie stellt ihre Spiele für Olympia bedingungslos frei. Ich glaube daran, dass wir längerfristig eine permanente Eishockeyliga in Europa haben werden.

Warum? In allen Top-Ligen Europas gibt es etwa 110 Mannschaften. Für diese grosse Zahl haben wir in den einzelnen Ländern nicht genügend qualitativ gute Spieler. Dazu kommt, dass wir pro Jahr zwischen 40 und 60 europäische Spieler an die NHL verlieren.

Wird die KHL die europäische Liga, indem sie sich weiter nach Westen ausdehnt? Sie hat ja bereits Teams auch in Tschechien, der Slowakei und nächste Saison mit Medvescak aus dem kroatischen Zagreb. Die KHL wird kommen. Sie ist ganz anders aufgestellt als die NHL. Die NHL ist eine typisch amerikanische Business- und Profit-Liga mit einer sehr guten Mischung aus Sport und Show, was ich akzeptiere. In der NHL wollen die Klubbesitzer mit ihren Franchisen Geld verdienen. Diese Kultur haben wir in Europa nicht; da steht der Sport vermehrt im Vordergrund. Klar investieren auch die Russen viel Geld in die KHL. Und es ist nicht alles gut, was sie machen. Die Saläre sind zu hoch, und zurzeit gibt es noch zu viele KHL-Mannschaften in Russland selber.

Ist es eine Frage der Zeit, bis sich auch der erste Schweizer Klub der KHL anschliesst? Ja.

Und dann geht die Nationalliga A kaputt? Nein, im Gegenteil. Die allerbesten Schweizer Spieler könnten in der KHL sehr gute Saläre bei Klubs mit entsprechendem Budget beziehen. Gleichzeitig würden hingegen die Budget und Spielerlöhne der Nationalliga-Klubs nach unten nivelliert. Mir bereitet es nämlich Sorgen, mit welchen finanziellen Schwierigkeiten sich viele Klubs in der Schweiz herumschlagen. Ich erinnere nur an die Kloten Flyers vor einem Jahr oder aktuell an Ambri. Und Sierre ist bekanntlich pleite gegangen.

Noch ein ganz anderes Thema. Seit 1995 sind Sie Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee IOC, seit 2008 gar in dessen Exekutivrat. Im September tritt nun Jacques Rogge als IOC-Präsident zurück. Das wäre doch auch ein Posten für Sie. Ich habe mir das überlegt. Einerseits fühle ich mich im Eishockey und in meiner jetzigen Position im IOC sehr wohl. Anderseits stufe ich meine Chancen als IOC-Präsident gering ein, weil ich aus dem Wintersport komme und kein typischer Vertreter eines nationalen Olympia-Verbandes bin. Zudem dürfte mit Denis Oswald ein anderer Schweizer als Rogge-Nachfolger kandidieren, und ihn will ich nicht konkurrenzieren.

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