×

Imran Khan – Idol in der Zwickmühle

Seit Juni regiert die Partei von Imran Khan ­eine pakistanische Provinz. Im Gespräch mit den Menschen vor Ort werden die Hoffnungen, Ängste und unterschiedlichen Erwartungen spürbar, die mit dem ehemaligen ­Kricket-Star verbunden sind.

Südostschweiz
13.12.13 - 07:00 Uhr

Von Gilbert Kolonko*

Peschawar. – Draussen quetscht sich eine Lawine aus buntverzierten Bussen, Eselkarren und Autos durch eine verstopfte Strasse in der Nähe des Khyber-Bazars von Peschawar. Drinnen im Internet-Café beschwert sich ein Langbärtiger mit weisser Gebetskappe beim jungen Besitzer, dass der Strom auch jetzt noch nicht da ist, obwohl er es vor ­einer halben Stunde versprochen hat.

«Jetzt weiss du, wie sich Imran Khan gerade fühlen wird», sage ich lachend zu dem jungen Mann, worauf er verlegend schmunzeln antwortet: «Ja, ich weiss, Neues braucht seine Zeit, und während dessen machen einen die Menschen für die alten Probleme verantwortlich.»

Da mischt sich sein junger Freund

in die Unterhaltung: «Imran Khan ist nicht gut, er hasst uns Christen.» Es stellt sich heraus, dass der Vater des jungen Christen beim schweren Bombenanschlag vor der Allerheiligen-Kirche in vor einem Monat schwer verletzt wurde; mehr als 80 Menschen fanden den Tod. Ich antworte ihm, dass Imran Khan so etwas nie gesagt hat. «Nicht öffentlich, das traut er sich nicht, aber wir Christen wissen es, spüren es.» Sein Freund, der Besitzer des Internetcafés schweigt betreten; er weiss um die Zwickmühle, in der sein Idol Imran Khan gerade steckt.

Der Beckenbauer Pakistans

Imran Khan, der Franz Beckenbauer Pakistans, da Kapitän des einzigen ­pakistanischen Nationalteams das je die Kricket-Weltmeisterschaft gewinnen konnte, wechselte vor 17 Jahren in die Politik. Jahrelang nicht mehr als eine Einmannpartei, galt er schon als eine Art Don Quijote, der aussichtslos und belächelt auf die Windmühlen der pakistanischen Korruption aufmerksam machte.

Doch dieses Jahr bei den Parlamentswahlen feierte der 60-Jährige nicht nur einen bemerkenswerten Achtungserfolg, in dem er die drittmeisten Sitze erringen konnte, seine Partei PTI gewann auch die Provinz Khyber Pakhtunkhwa mit der Hauptstadt Peschawar. Während im Rest des Landes vor allen die Mittelschicht und die jungen Menschen Khan wählten, weil er für eine neue korruptionsfreie Politik einsteht, wählten ihn die Menschen in Khyber Pakhtunkhwa, weil Khan versprochen hatte, die Drohnenangriffe der Amerikaner zu beenden.

Zudem sprach sich Kahn für Verhandlungen mit den pakistanischen Taliban aus. Letzteres lehnen viele seiner Anhänger im Rest Pakistans ­vehement ab. Sie wollen nicht länger zusehen, wie eine fanatische religiöse Minderheit die Mehrheit des Landes terrorisiert, sie wollen, dass die pakistanischen Taliban zuerst ihre Waffen niederlegen – oder dass die pakistanische Armee endlich tut, was nötig ist.

«Wer von euch mag die Taliban?»

Zwei Stunden später stehe ich auf dem Mittelstreifen der Ringstrasse von Peschawar. Dort haben Anhänger vom Imran Khans PTI einen Posten errichtet, alle Laster mit dem Ziel Afghanistan werden gestoppt und kontrolliert. Jeder Laster, der Güter für die Nato transportiert, wird zurückgeschickt. «Wir wollen, dass die Amerikaner ihre Drohnenangriffe auf ­pakistanischen Boden einstellen», sagt mir einer der Getreuen Imran Khans.

Als ich ihm antworte, die Anhänger Imran Khans ausserhalb von Khyber Pakhtunkhwa hätten eigentlich ganz anderes im Sinn, als sich mit den Taliban zu solidarisieren, winkt der Mann aufgeregt seine Mitstreiter herbei. «Wer von euch mag die Taliban?», fragt er laut in die Runde. «Sie sind unsere Brüder.» «Sie kämpfen nur für ihre Rechte.» «Wir unterstützen jeden, der sich gegen die amerikanischen Besatzer auflehnt», antworten die erhitzten Gemüter; dann führt man mich zu einem Stuhl, und ein junger Mann setzt sich neben mich.

«Wir brauchen ­zuerst Frieden»

Auf seinem intelligenten Gesicht sitzt eine Brille, und er wirkt eher wie ein typischer Khan-Anhänger im Rest Pakistans. «Sie finden also, dass man Friedensverhandlungen mit Leuten führen sollte, die Christen, Schiiten, einfach jeden töten wollen, der nicht ihrer Meinung ist?», werfe ich ihm an den Kopf. Zuerst antwortet er aufgeregt und unzusammenhängend, dann fängt er sich: «Nein, ich teile nicht die Meinung und die Ideale der Taliban. Aber wir brauchen zuerst Frieden, dann kann man anfangen aufzubauen.» Aber die Ereignisse allein im Swat-Tal im Jahr 2009 hätten doch ­gezeigt, dass sich die pakistanischen Taliban an keine Abmachung halten, erwidere ich. «Alle politischen Parteien wie auch die Taliban hatten schon Friedensverhandlungen zugestimmt, dann schlugen die Amerikaner wieder mit ihren Drohnen zu», sagt er. «Warum wollen die Amerikaner in Afghanistan mit den Taliban verhandeln, aber in Pakistan sabotieren sie jeden Dialog? Wir müssen zusammensitzen, dann werden wir eine Lösung finden.»

«Jeder ist hier als Gast willkommen»

Plötzlich drängelt sich ein älterer Bärtiger durch die mittlerweile anwesenden Kameraleute und Journalisten und sagt aufgeregt: «Wir lieben die Amerikaner, und jeder von ihnen ist hier willkommen. Wir hassen nur die amerikanische Regierung. Verstehen sie? Jeder ist hier als Gast willkommen.» Ich weiss nur zu gut, was der Alte meint.

Wenn ich hier abends durch die ­belebten Gassen des Khyber-Bazars schlendere, bin ich allzu oft gerührt. Gesichter die einen anlächeln, Menschen, die andauernd fragen, ob man sich wohl fühlt, ob der Gast Hilfe braucht. Oft antworte ich auf die Frage nach meinem Herkunftsland Amerika, doch es ändert sich nichts an der Liebenswürdigkeit der Menschen.

Das ist umso ungewöhnlicher, wenn man bedenkt, dass Peschawar die Hauptstadt einer Stammesregion der Paschtunen ist. Menschen, die unverhohlen sagen, dass Blutrache etwas Selbstverständliches ist, Menschen die seit Jahrzenten von politischen Bevollmächtigten aus Islamabad fremdregiert werden, Menschen, um deren Entwicklung man sich seit Jahrzenten nicht kümmert.

Nein, der Anblick von vollkommen verschleierten Frauen auf den Strassen gefällt mir nicht, aber wie sagte ein befreundeter Filmemacher aus Lahore vor einigen Tagen zu mir: «Ob in Kohistan oder der Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Wenn man dort Entwicklungsarbeit leisten will, darf man nicht hingehen und den Menschen seine Werte-Vorstellungen vorsetzen. Erst muss man Raum schaffen, um Schulen zu errichten. Später, mit mehr Bildung, sollen die Menschen selber entscheiden, wie viel sie von den alten Lebensgewohnheiten behalten wollen.»

«Was soll er auch machen?»

Am nächsten Morgen sitze ich an einem Teestand in der Nähe eines modernen Einkaufszentrums. Die Männer und Frauen, die dort hinein und hinaus schlendern, sind westlich gekleidet, und die durchsichtigen Gesichtsschleier der Frauen eher eine Art Modegag. Draussen auf dem Gehweg sitzen in Schafsfell-Umhängen und weissen Gebetskäppchen die Menschen des alten, traditionelle Peschawar, die den Ratschlägen ihrer Mullahs folgen, um gute Muslime zu sein. Mit dem Verkauf von chinesischem Plastikkrimskrams versuchen sie, die eine oder andere Rupie zum Überleben zu erhaschen.

«Wie ist eure Meinung von Imran Khan, nachdem er ein halbes Jahr hier regiert?», frage ich zwei einfache Bankangestellte. «Es ist nicht viel passiert. Gut, es ist mittlerweile sauberer auf den Strassen, aber sonst? Was soll er auch machen? Die Umstände hier werden es nicht zulassen, dass er grosse Fortschritte macht.»

80 Prozent haben eine politische Meinung

Kurz darauf schlendere ich über das Gelände und durch die verschiedenen Lehrbereiche der Universität von Peschawar. Ich spreche mit den jungen Männern und den jungen Frauen, deren überwältigende Mehrheit unverschleiert ist. Schon nach zwei Stunden werden manche Dinge offensichtlich: Mehr als 80 Prozent der Befragten, haben eine politische Meinung, und ein Grossteil von ihnen steht immer noch hinter Imran Khan.

Die Gründe könnten unterschiedlicher nicht sein. Viele junge Frauen erhoffen sich, dass es in seinem neuen Pakistan mehr Rechte und Chancen für sie geben wird. Die Schüler des Studienganges Islamwissenschaften erhoffen sich durch Khan eine Stärkung der islamischen Werte. Wie geht das? Ist Imran Khan ein Chamäleon und verspricht jedem, was er hören möchte? Die kritischen Stimmen klingen gleich. Gerade die Mitglieder der religiösen Minderheiten, aber auch viele schiitischen Studenten haben Angst. Haben Angst, dass ihr Leben unter Imran Khan noch schwerer und gefährlicher wird.

Dann fragt mich ein älterer Student lachend, was denn die Medien im Westen über Imran Khan denken. «Mehr und mehr wird er in die Ecke eines Religiösen gedrückt, der mit den Taliban sympathisiert», sage ich. «Da macht man es sich ja wieder einfach», antwortet der Student immer noch lachend und fährt gut gelaunt fort: «Imran Khan hat einen seiner eigenen Minister wegen Korruption aus dem Amt geworfen, und in den Behörden wird gerade ordentlich ausgemistet. Wir werden sehen, ob seine eigenen Leute besser sind.»

«Wir sind noch da, die Jugend»

Imran Khan, betont der Student, sei Paschtune und mit den Gebräuchen und Regeln der Stämme im benachbarten Waziristan – einer der Hauptgegenden der amerikanischen Drohnenangriffe an der Grenze zu Afghanistan – vertraut. «Er will zuerst Frieden dort und weiss, dass man die Stämme Waziristans nur gewinnen kann, wenn man ihre Lebensweise akzeptiert. Dann kann man anfangen Schulen zu bauen.»

«Na, das klingt aber nach einem grossen Plan, dessen Früchte man erst in 30 oder 40 Jahren sehen wird, und wer Pakistan ein wenig kennt, ahnt, das der Plan zum Scheitern verurteilt ist», wende ich ein. «Ja», stimmt er mir heiter zu, «wahrscheinlich wird Imran Khan scheitern, aber das wird nicht das Ende sein, denn wir sind noch da, die Jugend Pakistans. Solange Imran Khan sein Bestes versucht, werden wir hinter ihm stehen, und wenn er scheitert, werden andere aus unseren Reihen seinen Platz übernehmen. Inschah Allah.»

* Der Berliner Reiseautor Gilbert Kolonko ist seit 13 Jahren regelmässig in Indien, Nepal und Pakistan unterwegs. Der 41-Jährige hat Bücher über den Bürgerkrieg in Nepal und über Pakistan geschrieben. Das neueste heisst «Pakistan: Opfer und Täter».

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR