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Der Pro-Russland-Twitterer ohne russische Wurzeln

Marcel Sardo beteiligt sich, wie er selber sagt, am Twitterkrieg zwischen den Pro-Ukrainern und den Pro-Russen. Vom Begriff des «Russland-Trolls» hält er wenig. Das Land kennt er erst seit ein paar Jahren. Es ist ihm aber ans Herz gewachsen.

Südostschweiz
23.07.14 - 13:14 Uhr

Von Rinaldo Tibolla

Zürich. – «Der Geist kann Russland nicht erfassen. An Russland kann man nur glauben. Wenn du daran glaubst, wirst du es verstehen. Und dann wirst du es lieben.» Dieser Gedanke übertitelt den Twitter-Account von Marcel Sardo. Die russische Flagge weht daneben. Das Profilbild zeigt Juri Gagarin, den ersten Menschen im Weltall. Im Kurzbeschrieb betitelt Sardo sich als «Pro-Russia Media-Sniper», als pro-russischen Medienscharfschützen also. Sardo ist sehr aktiv auf dem Kurznachrichtendienst. Er zeigt Bilder, Opfer der ukrainischen Armee, lädt Videos von Augenzeugen hoch, kommentiert Schlagzeilen von Medien, und analysiert auch Geschehnisse wie den Flugzeugabsturz der MH 17 in der Ostukraine.

Beinahe 13 000 Tweets hat er verfasst. Wirklich aktiv wurde er, als er sich von der Kritik an Olympia in Sotschi angestachelt fühlte – also Anfang Jahr. Nun schreibt er grösstenteils zum Konflikt in der Ostukraine, beobachtet aber auch die Geschehnisse im Gaza. Seines pro-russischen Engagements wegen wird er von der Schweizer Presse als «Schweizer Russland-Troll» bezeichnet. Den «Russland-Trollen» wird nachgesagt, dass sie direkt vom Kreml finanziell unterstützt und gezielt für Propagandazwecke gegen den Westen eingesetzt werden.

«Vom Vorwurf, man sei ein Troll und sei bezahlt, halte ich gar nichts», sagt Sardo. Im Twitterbekanntenkreis mache man sich sogar lustig darüber. Kürzlich habe einer geschrieben, dass er das Essen in der Kreml-Kantine nun auch nicht als das Wahre ansehe. Er hält es für erbärmlich, dass man seinesgleichen Verknüpfungen zur russischen Regierung um Wladimir Putin andichtet. «Man geht auf uns los, obwohl wir eigentlich nur drei Sachen haben: Die Zeit, die wir opfern, einen Twitter-Account und eine Überzeugung.

Nach Zürich, um in den Medien zu arbeiten

Dennoch: Russischer könnte sein Twitter-Aufritt nicht sein. Auf dem Papier ist Sardo aber Schweizer und Wurzeln in Russland hat er auch keine. Er ist in Grenchen im Kanton Solothurn als Sohn italienischer Eltern geboren und aufgewachsen. Mit 20 Jahren zog es ihn dann nach Zürich, weil er in den Medien arbeiten wollte. Er sammelte Erfahrung beim Fernsehen, in der Werbung und auf Zeitungsredaktionen. Vom Solothurner Dialekt ist nichts mehr übrig. Zürich hat ihn verschwinden lassen. Heute ist Sardo «Medienproduzent», wie er sich selber nennt, hat sich selbstständig gemacht und erstellt Produkte für Film, Fernsehen, Internet, Mobiltelefonie. Er bezeichnet sich auch als «Medienjunkie» und «Medienbeobachter». Er liest sehr viele Nachrichten, beteiligt sich in den Leserforen mit Kommentaren und eben – er twittert. Zum Begriff «Media-Sniper» sagt Sardo selbst: «Ich beobachte die Medien und fokussiere dann, wenn ich etwas Relevantes sehe und stürze mich darauf.» Juri Gagarin hat er ausgewählt, weil dieser den berühmten Spruch «Poyechaly!» gemacht hat, übersetzt etwa «Auf gehts jetzt – machen wirs». Sardo sieht sich ebenfalls als Macher.

Wieso aber diese Überzeugung pro-russisch zu twittern? Das Land besucht er zum ersten Mal 2006 – Moskau – für eine Woche. Im Folgejahr – just am Tag der Vereidigung von Dmitri Medwedew zum Präsidenten – ist er nochmals in Moskau. Seine im Internet gemietete Wohnung für den Trip stellt sich aber als Bruchbude heraus. Sardo steht auf der Strasse. Von einer Kollegin vor Ort heisst es erstmals «Welcome to Russland». Sie gibt ihm eine Adresse für eine Unterkunft. Ohne Russisch zu können (er lernt immer noch), schlägt sich Sardo in der Grossstadt durch. Danach vergehen zwei Jahre. Ein gutes Geschäftsprojekt ermöglicht es Sardo, eine Weltreise zu unternehmen. Zurück in der Schweiz fällt er jedoch in ein Loch. Er besucht einen Kollegen in Finnlands Hauptstadt Helsinki, hängt aber Moskau noch an. Auf dem Rückweg macht er halt in St. Petersburg. Als er dort am zweiten Tag frühmorgens durch das Gässchen «Uliza Rubinseyna» geht, ist es um ihn geschehen. «Ich hatte das Gefühl, zu Hause angekommen zu sein», erzählt Sardo. Ein Jahr ist er in St. Petersburg geblieben.

Lockerheit der Personen kommt ihm vertraut vor

Wenn Sardo von Russland redet, spürt sein Gegenüber die Überzeugung für dieses Land. Er sagt selber: «Ich habe einen Schweizer Pass, im Herzen bin ich aber ein Russe geworden.» Er spüre eine Nähe zur dieser Gesellschaft. Die Strukturen und die Lockerheit der Personen würden ihm vertraut vorkommen. Aber auch für die klaren Familienstrukturen habe er Sympathien. Vom Geschichts- und Traditionsbewusstsein der Russen ist er angetan. «Bei uns wird dies weniger gelebt», sagt Sardo. Nur voll des Lobes ist er aber auch nicht. In Russland gebe es Korruption. Sie sei eine Krankheit, werde aber bekämpft – gerade vom russischen Präsidenten Putin. Das würden die Russen an ihm schätzen. «Putin hat eine gewisse Ordnung in das Chaos der Neunzigerjahre gebracht», sagt Sardo. Über den Zynismus, den Putin nun an den Tag legt, verliert er kein Wort.

Für Putin kämpft Sardo nun blindlings – auch auf Twitter. «Der Twitterkrieg zwischen der pro-russischen und pro-ukrainischen Seite findet statt», sagt er. Zu seiner pro-russischen Truppe zählt er 15 Personen. Persönlich kennt er eine Person, weil sie in Zürich lebt, mit zehn ist er über E-Mail und Skype in Kontakt. «Wir tauschen uns aus, updaten und kontrollieren uns gegenseitig.» Von einer «bunt gemischten Truppe» spricht er. Einen Anwalt in Kanada und einen ehemaligen amerikanischen Armeeoffizier erwähnt er. Auch Deutsche, Engländer, Iren, Russen, Ukrainer und Franzosen würden dabei sein. Seine Truppe könne auf ein Netzwerk von 50 000 Kontakten zurückgreifen, was  eine «gigantische Suchkraft» sei.

Das Ganze möchten sie nun ausbauen. Sie suchen Freiwillige, die übersetzen. Denn Follower vor Ort in der Ostukraine würden sehr viele «News» generieren. Die übersetzten Nachrichten und Videos wollen sie auf einen Blog stellen. Sardo ist fürs Untertiteln von Videos zuständig. «Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Nachrichten von der ‘anderen Seite’ zu verbreiten», sagt er. Falschinformationen seien dies sicherlich nicht.

Für die Opfer  des Konflikts

Auf die Frage, was seine Mitstreiter denn eint, sagt Sardo: «Es sind Menschen, die nicht in einer unipolaren Welt leben möchten, in der eine Regierung – die USA – kraft ihres verlängerten Armes der Nato die Welt beherrscht.» Russland mit Putin sei da, um einen Gegenpol zu setzen. In den etablierten Medien sei deshalb eine Anti-Russland-Stimmung aufgebaut worden. «Ziel ist es, Russland zu destabilisieren», sagt Sardo. Sardos Motivation ist es, dass er sich für ein Land einsetzen kann, das er aufgrund der Menschen lieben gelernt habe. «Ich bin Bürger dieser Welt, und ich schulde es den Opfern dieses Konflikts.»

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Wie kann sich ein Mensch, der in der Schweiz aufgewachsen und Italienischer Herkunft ist, so verirren.
Was geschieht mit Menschen, die in der Neuzeit, der Aufklärung und der wissenschaftlich erklärbaren und verständlich gemachten Welt, von Glauben irgendwelcher Art reden und zu suggerieren versuchen, dass sie es auch noch tun, das Glauben.
Realismus ist da wohl nicht zu finden, der Wahrheit verpflichtet zu sein auch nicht.
Seine Artikel sind aus dem Zusammenhang gerissene Sequenzen die er mit selbst interpretierten Ideen vermischt, die kaum einer genauen Prüfung standhalten.
Wie kann jemand, der nicht in einer Gesellschaft aufgewachsen ist diese verstehen und über diese wirklich Berichten, dazu noch ohne Studium darüber.
Auch wenn in einer Gesellschaft aufgewachsen, ist noch schwierig, diese zu verstehen.
So ist zu erkennen, dass es sich da um einen indoktrinierten Troll, um Partikularinteressen und/ oder um sektenmässiges Gewinnstreben handeln könnte.
Dass solchen Märchenerzählern für ihr alternatives Fake Wissen und unreflektiert im Internet eine Plattform gegeben wird, ist die negative Kehrseite eben diese Internets.

...ich suche immer noch in diesem Artikel, von was dieser Mann eigentlich lebt, wenn er doch keine Troll-Bezahlung erhält....schon komisch oder????

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