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Meinungsfreiheit hat ihre Grenzen

Die Anti-Rassismus- Strafnorm braucht es, weil die Gesellschaft in der Vergangenheit zu häufig schwieg.

Südostschweiz
05.09.15 - 02:30 Uhr
Politik

Ein Kommentar von Petar Marjanovic, Redaktor

Bischof Vitus Huonder und der entlassene Tessiner SVP-Pressesprecher Corrado Galimberti («Neger sollten alle verhungern») haben eines gemeinsam. Sie handelten im Glauben, dass die Meinungsfreiheit jede Äusserung erlaubt, auch jene, die Hass, Frust und Leid schüren. Ihnen drohen juristische Konsequenzen, weil sie das sagten, was sie dachten.

Nicht nur seit der zeitweisen Sperrung des Facebook-Profils von SVP- Nationalrat Christoph Mörgeli wird jedoch berechtigt die Frage gestellt, ob denn radikale Meinungsäusserungen durch das Gesetz beschnitten werden dürfen. Seit ihrer Einführung im Jahr 1995 wird die Anti-Rassismus- Strafnorm von einigen Bürgern gar als «Maulkorb» bezeichnet. Vernünf-tigere Kritiker fordern den Kampf gegen Hassreden mit Gegenargumenten: Eine Gesellschaft müsse stark genug sein, um mit solchen «Löli-Aussagen» umzugehen, wie etwa der «Blick am Abend»-Vize-Chefredaktor zu Mörgelis Facebook-Sperre diese Woche in einem Kommentar schrieb.

Diese starke Zivilgesellschaft, die sich von sich aus empört, wenn Einzelpersonen, Parteien oder Gruppen Hass schüren und andere Menschen wegen ihrer Abstammung, Religion, sexuellen Einstellung oder Hautfarbe diskriminieren, gibt es aber nicht. Der jüngste «Aufstand der Vernünftigen» wurde erst laut und wach, als sich bekannte Personen als Meinungsmacher gegen Diskriminierung wehrten und ihre Stimmen erhoben.
Diese Stimmen müssen lauter werden. Als Gesellschaft dürfen wir uns aber nicht auf die Laune von Politikern und Prominenten verlassen. Zu lange schwieg die Politik, als gegen Ausländer, Schwule, Muslime gehetzt wurde. Die Folge: Dutzende Jugendliche, die sich von der Gesellschaft verabschieden und ihren eigenen Weg suchen. So wie die perspektivlosen jungen Muslime, die von der Gesellschaft nur Hass zu spüren bekamen und sich radikalisierten. Oder die 17-jährige transsexuelle Leelah Alcorn, die sich letztes Jahr nach Mobbing und Beschimpfungen in der Schule das Leben nahm. 

Nein, die Gesellschaft ist nicht stark genug, um mit Hassreden umzugehen. Sie war es aber, als sie 1994 in einer Volksabstimmung Diskriminierung unter Strafe stellte.  

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