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Kindheitstraum

Pesche Lebrument hat beschlossen, dass er jetzt eine Lebenskrise hat. Jeden Sonntag berichtet er nun für die Zeitung «Südostschweiz» und «Südostschweiz Online» aus seinem Alltag. Heute über eine spezielle Männerfreundschaft und seine Hingabe dazu.

Südostschweiz
19.03.17 - 08:00 Uhr
Ereignisse
Schreibt über sein Leben und das älter werden - Pesche Lebrument.
Schreibt über sein Leben und das älter werden - Pesche Lebrument.

Von Pesche Lebrument

Ein eigenes Häuschen vor meinem Haus. Darin erwartet sie mich. Tag und Nacht. Mein Auto in der Garage trägt einen Kosenamen. Den Namen einer schönen Frau. Ihre Schönheit hat gelitten. Die Winterreifenzeit setzte ihr zu. Schneematsch, Schmutz und Staub. Eine attraktivere Jahreszeit bricht an. Wir brechen auf. 

Er winkt mit beiden Armen. Wie ein Lotse, der einem Flugzeug auf der Piste den rechten Weg weist. Ich fahre auf ihn zu. Plötzlich schnellen seine Arme hoch. Dann reisst er die gekreuzten Hände schlagartig auseinander. Ich bringe meinen Wagen zum Stehen. Gedämpft dringt seine Stimme durch die Scheibe: «S’N ilegga.» Ich schiebe den Ganghebel nach vorne. «Und d’Spiegel iklappa», befiehlt der Einweiser. Ruckelnd reisst mich die Waschstrasse in ihren Schlund. 

Ich werde gefahren. Vorbei an drehenden Bürsten und wippenden Schläuchen. Eine Waschwalze fegt über mich hinweg. Wasser versucht durch jede Ritze einzudringen. Herabhängende Putzlappen tanzen um mich herum. Mit einem Mal wandern Tropfen entgegen der Schwerkraft die Scheiben hoch. Der künstlich erzeugte Orkan bläst mich schliesslich aus der Waschanlage. 

Autos bewegen sich durch die Lebensgeschichten der Menschen.

Staubsauger stehen in Reih und Glied. Ich fahre dazwischen. Da, direkt neben mir. Parkierte Nostalgie. Mein erster Wagen. Das genau gleiche Modell. Sogar die Farbe stimmt. Von allen meinen Autos war mir dieser Kleinwagen der liebste. Erstmalige Unabhängigkeit auf vier Rädern. Mein erstes Fahrzeug vergesse ich ebenso wenig wie meinen ersten Kuss. Ich finanzierte es mit wenig Erspartem und viel Elternkredit. Käufliche Liebe. Mit dem Einkommen wuchsen die Wagen. 

Heute fahre ich dieselbe Automarke wie mein Grossonkel damals. Vier Ringe. Deutsch. Dunkelblau. Mein viertes Fahrzeug. Erhaben stand Grossonkels Wagen bei Besuchen immer neben unserer alten Familienkutsche. Diese hatte noch nicht einmal eine Klimaanlage. Sommerferienfahrten mit maximal heruntergelassenen Scheiben. Selbst so stank es innendrin fürchterlich nach Abgas. Kopfweh bei Ankunft. 

Ich sehe mich um. Mehrheitlich Männer bücken sich mit Saugrohren in Innen- und Kofferräume. Doch das ist erst das Vorspiel. Wir fegen über Fussmatten und dringen tief hinein in Handschuhfach und Becherhalter. Sanft gleiten Mikrofasertücher über gemaserte Holzzierleisten. Wir bringen Kunststoff zum Schimmern, Scheiben zum Spiegeln und Spiegel zum Strahlen. Alles klar. 

Autos und ihre Fahrer. Ich erblicke einen Junglenker. Er poliert die Chromstahlfelge unterhalb des Spoilers seines Kleinwagens. Schräg gegenüber steht ein Kombi. Auf dessen Rückbank montiert ein Vater Kindersitze. Ein älteres Pärchen säubert gemeinsam einen Altherrenwagen.

Meine greise Grosstante besass nie ein eigenes Auto. Lange nach dem Tod ihres Mannes offenbarte sie mir, es sei ihr grösster Fehler gewesen, nie den Führerschein gemacht zu haben. Sie durfte nicht. Er wollte nicht. Es waren andere Zeiten. 

Meine Freundin besitzt ein kleines Elektromobil. Sie macht sich nicht viel aus Autos. Und schon gar nicht aus meinem. Vor Kurzem im Parkhaus: Sie winkt mit beiden Armen. Ich fahre rückwärts auf sie zu. Dann hält sie ihre Hände nebeneinander, so als würde sie die Grösse eines Fisches abschätzen. «Du häsch no so viel. Das langet vorig», ruft sie mir durch die maximal heruntergelassene Scheibe zu. Ich versuche das eingekeilte Parkfeld in dieser verwinkelten Grossstadtparkhausgarage zu verlassen. Die Parkhilfe piepst unablässig. «Am beschta kaufsch diar no a grössera Waga», meint meine Freundin, als sie wieder einsteigt.

Autos bewegen sich durch die Lebensgeschichten der Mensch. Sie verraten viel über ihre Besitzer und wer sie sein wollen. 

Ich verlasse die Waschanlage. Ich steure meinen Teil zum dichten Verkehr bei. Er verschluckt mein glänzendes Statussymbol. Mein grosser Bubentraum löst sich im Verkehrsfluss auf. 

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