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Pesche Lebrument hat beschlossen, dass er jetzt eine Lebenskrise hat! Jeden Sonntag berichtet er für die Zeitung «Südostschweiz» und «Südostschweiz Online» aus seinem Alltag. Heute über das Onkelsein.

Südostschweiz
21.01.17 - 17:44 Uhr
Ereignisse
Schreibt über sein Leben und das älter werden - Pesche Lebrument
Schreibt über sein Leben und das älter werden - Pesche Lebrument

Ein Heer hungriger Menschen. Kolonne im global genormten Schnellimbiss. Ich mittendrin mit meinem Neffen. Seine Träume lauern hinter dem Tresen: Burger, Pommes, Cola. Der Kleine hat es sich so sehr gewünscht.

Eben habe ich ihn zu Hause abgeholt. Heute ist einer der seltenen Onkel-Tage. Begrüssung auf Bauchnabelhöhe. Meine Hand wuselt durch sein Haar. Ich habs schon wieder getan. Mein Neffe mag das nicht, ich sehs ihm an. Wenigstens bin ich kein Kopfküsser. Selbst noch Bauchnabelgross, ekelten mich die feuchten Haarküsse meiner Verwandten. Erst als Erwachsener erkenne ich: Es entspringt einer Grössenunterschiedszwangshandlung, nicht bösem Willen.

Mein Neffe und ich, der kinderlose Onkel. Fast vier Jahrzehnte trennen uns. Gesprächsthemasuche: «Uf was freusch di am meischta?» Er: «Cola.» Damals wie heute: Das elterliche Koffeinverbot macht das schwarze Blubbergebräu zum Mythos. Als Onkel breche ich die elterlichen Regeln. «Saisch aber nüt dahai», flüstere ich verschwörerisch, «das blibt üsers Geheimnis.» Dass ich im Vorfeld die Erlaubnis seines Papas einholte, weiss er nicht.

«Töff i ins Spielparadies?», fragt er, sich die Langeweile in den Bauch anstehend. «Aber klar», erteilt meine Stimme die Genehmigung. Etwas fester ruft sie hinterher: «Aber so, dass i Di gseh kann.» Ein kreischender Kinderknäuel verschluckt ihn. Meine Kleinkind-Kontrollblicke laufen ins Leere. Je länger ich anstehe, umso nervöser werde ich. Ich will meinen Platz in der Kolonne nicht verlieren.

Burger XXL, Pommes XXL, Cola XXL. Alles maximale Grösse. Alles besorgt. Besorgt eile ich mit dem Tablett zur Kinderecke. Er ist noch da. Glücklicherweise hat er sich noch nicht alle Zähne ausgeschlagen. Fremde Kinder spielen zusammen, als wären sie seit immer befreundet. Sie werden von den weit auseinanderliegenden Tischen aus beaufsichtigt. Die Erwachsenenwelt blickt auf den vor sich kreisenden Kinderplaneten. Körper gleiten über Rutschen. Bälle fliegen in Körbe und auf Köpfe. Autsch, Alarmgeschrei, Aufstehen.

Mein Neffe wischt sich die Tränen aus den Augen. Er erblickt das eingewickelte Essen und mich. Im Stehen zwingt er die Cola in Rekordzeit durch den Strohhalm in seinen kleinen Körper. Ebenso schnell werden die Pommes Teil seiner selbst.

Vollmundiges Gespräch. Er erzählt von den beeindruckenden Superkräften einer Märchenfigur, von der ich noch nie gehört habe. Er erwähnt, dass der Superheld auch Held eines kürzlich erschienenen Spielkonsolenspiels sei. In den Burger beissend beobachtet er mich fortwährend. Ich füttere ihn mit Lebensweisheiten von anno dazumal. Welche weiss ich nicht mehr, da mich sein eindringlicher Blick irritiert.

Pappsatt verlassen wir die Burger-Kette. Neuer Programmpunkt. Hockeystock-Besorgung, wie mit seiner Mama vorbesprochen. Entgegen ihrem Rat steuern wir jedoch ein anderes Sportgeschäft an. «Do häts viel meh Schläger», versichert mir der Kleine.

Wir treten mit dem neuen Stock aus der Sportfiliale. Da erspähe ich auf der anderen Strassenseite einen Gameshop. Ich habe eine Eingebung: «Mainsch, do dinna häts dis Superhelda-Computerspiel?»

Er: «Ganz sicher. Leider gits das erscht ab 12 Johr.» In seine Kinderaugen mischt sich Hundeblick. «Das blibt üsers Geheimnis», flüstere ich verschwörerisch.

Bezahlbare Begeisterung. Er ist der Prinz und ich sein Schatzmeister. Ich, der Verwöhner, wecke wachsende Begehrlichkeiten. Ich baue mit am sich immer höher türmenden Geschenkeberg. Er hat nicht alles und will noch viel mehr. Ich kaufe immer das Grösste für den Kleinen, damit mich der Kleine für den Grössten hält.

Zurück zu Hause. Hier endet meine Temporärverantwortung. Aufrichtiger Dank seiner Mutter für die wenige Zeit, die ich mir nahm und ihr gab. Sie sieht Stock und Spiel. «Är isch an uh brava gsi», versichere ich. «Das isch aber liab. Häsch am Onkel tanka gsait?» Er herzt mich auf Bauchnabelhöhe. Meine Hand wuselt durch sein Haar. Es scheint ihn nicht zu stören.

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