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Rebellen

Pesche Lebrument hat beschlossen, dass er jetzt eine Lebenskrise hat! Jeden Sonntag berichtet er nun für die Zeitung «Südostschweiz» und «Südostschweiz Online» aus seinem Alltag. Diese Woche über vollkommene Konzerterlebnisse. 

Südostschweiz
11.12.16 - 08:00 Uhr
Ereignisse

Brummende Bässe, bebende Körper.  Das Schlagzeug taktet die Menge. Gleichschritt, Tanzschritt und doch wildes Durcheinander. Ich mittendrin mit meinen Freunden. Kleider kleben am Leibe.  Lichtblitze halten unsere Bewegungen fest und lassen sie wieder los. Glimmstängel gestopft mit getrockneter Balkonpflanze machen die Runde, Joint-Venture. Ich habe Alkohol mit ins Stadion geschmuggelt. Plastikbechernd toben wir durchs Konzert. Sie spielt da vorne. Unsere Band. Hoch oben auf der Bühne und noch höher im Hitparaden-Olymp.

Dieser Konzertbesuch hat sich in unser aller Köpfe gebrannt. Ich und meine Freunde. Verbindende Kollektiverinnerung.  Es muss an die 10 Jahre her sein. Vielleicht 15. Auf keinen Fall 20.

Konzertende. Verkehrschaos. Alle wollten gleichzeitig heim. Ich und mein Freund zogen die im Kofferraum liegenden Unfallwarnwesten an. Wie Verkehrskadetten wirkend, winkten wir mit betrunkener Bestimmtheit unser Auto hinaus in die Freiheit. Ausgelassene Heimfahrt. Diese Nacht war vollkommen.

Sie tritt wieder auf. Unsere Band von damals. Ihre Musik hat zusammen mit den Bandmitgliedern überlebt.  «Söll i Karta bschtella?». «Klar, bin dabi» befeure ich meine beste Freundin. Sie ist unser Herz, die durch ihre Tatkraft unseren Freundeskreis zusammenhält. Ich, der Mitläufer, freue mich aufs Konzert, auch wenn die jugendschlafzimmerlichen Poster zusammen mit dem Bauchkribbeln von einst schon lange verschwunden sind.

Konzerttag. Alle wieder da. Ich, er und sie. Die Vorband spielt um ihr Leben, doch die Menschenmenge ist stehengebliebene Langeweile. Ich schaue mich um. Band-T-Shirts über Bauchansätzen. Falten statt Pickel.  Habe nicht so viele ältere Leute hier erwartet. Die Menge braust erst auf, als unsere Band die Bühne betritt. Vertraute Klänge fegen über unsere Köpfe hinweg. Ich hör sie wie durch einen Nebel. Trage Ohrstöpsel. Viel zu laut. Die Musik zupft am Körper, schwenkt mich hin und her. Mein Getanzte soll nicht aufdringlich, aber auch nicht anteilnahmslos wirken. Helvetische Hemmungslosigkeit.  Das Mineralwasser in meiner Hand schwappt nicht über den Plastikbecherrand.

Mein Freund steckt sich eine Zigarette an. Keine Pflanzen mehr auf dem Balkon. Der Tabakrauch hat die Stadion-Decke noch nicht berührt, da zerrt ein Sicherheitsmann meinen Freund aus dem Saal. Die werden ihn wohl in die Raucher-Lounge verweisen, denke ich. Doch er kehrt auch nach dem dritten Lied nicht zurück.

Pommes-Stand, Toilette, meine beste Freundin und ich suchen das riesige Stadion ab. Da, hinter der spaltbreit offenen Stadionglastüre. Zwischen gutbeheizt und bitterkalt tobt ein Disput zwischen dem Security-Wächter und meinem Freund. Vor Wut bebend und vor Kälte zitternd, erklärt er dem bespringstiefelten Wächter, dass er nicht gewusst habe, dass man heutzutage an Konzerten nicht mehr rauchen dürfe. Er sei das letzte Mal vor 20 Jahren an einem solchen Anlass gewesen. Ihn deshalb gleich des Stadions zu verweisen, halte er für gleichermassen unverhältnismässig, wie unverschämt.

«Miar füahrend nu üsi Awisiga us», der Security-Wächter spricht wie ein Deeskalationshandbuch. In Gedanken appelliere ich an seine Barmherzigkeit. Mein Freund wird doch in wenigen Monaten Vater. Zudem muss er bereits morgen früh wieder im Hörsaal vor seinen Studenten stehen. Noch bevor Gedanken Worte formen, fallen Beleidigungen. Mein Freund bezeichnet den Sicherheitsmann in seiner dunkelblauen Fantasie-Uniform als Darmausgang. In der Folge verlassen wir alle das Stadion.

Konzertende. Kein Verkehrschaos. Ausgelassene Heimfahrt. Rausgeschmissen! In unserem Alter. Was sind wir doch für Rebellen.  Daran werden wir wohl in 10, 15 ja gar 20 Jahren noch zurückdenken. Der Konzertbesucht hat sich in unser aller Köpfe gebrannt. Ich und meine Freunde. Die neu belebte Kollektiverinnerung vertieft bereits geknüpfte Bande. Diese Nacht war vollkommen.

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