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Das Büro

Pesche Lebrument hat beschlossen, dass er jetzt eine Lebenskrise hat! Jeden Sonntag berichtet er nun für die Zeitung «Südostschweiz» und «Südostschweiz Online» aus seinem Alltag. Diese Woche: über sein ganz eigenes, abgesperrtes Reich und die Bedeutung des Computers darin.

Südostschweiz
23.10.16 - 08:00 Uhr
Ereignisse

Es gibt da diesen einen Raum in meinem Hause, da darf ich sein. Ich habe ihn selbst eingerichtet. Ich nenne es wahlweise mein Computerzimmer oder schlicht «das Büro». Meine Freundin meint, es sei etwas karg mit Tendenz zum Trostlosen. Nur ein Bild an der Wand. Es zeigt eine künstlerisch kaschierte Nackte. Meine Freundin fragte mich einst, ob ich tatsächlich glaube, dies sei Kunst.

Darunter geschichtetes Chaos. Hochgestapelte Rechnungen, Quittungen, Steuerbelege. Nur einige Ordner verleihen dem Raum eine gewisse Seriosität. Ich gehe davon aus, dass sie ungemein wichtige Dokumente beinhalten. Inmitten aber steht mein Heiligtum. Getürmtes Hightech. Mein Computer. Er ist umgeben vom diodenfunkelnden Modem, sowie dem Ding, das das Internet im ganzen Haus verteilt.

Wenn ich den Computer einschalte, kann ich abschalten. Ich wähne mich in anderen Welten. Ich werde zum allwissenden Surfer, zum allmächtigen Krieger. So war ich schon König, der sein Heer in die Schlacht führte. Ich spiele nur noch ab und zu. Dafür immer wieder.

Nicht heute. Mein Computer hat mich ausgesperrt. Er informiert mich mittels virtuellem Schreiben: «15% … Updates werden verarbeitet. Schalten Sie ihren PC nicht aus. Dies dauert einen Moment». Es ist schon eine ganze Weile her, seit 15 Prozent von diesem Moment vergangen sind. Ein animiertes Zahnrädchen dreht sich in der Unendlichkeit.

Behutsam leise trommelt sie mit den Fingernägeln an die Tür. So als wolle sie mich nicht stören und doch auf sich aufmerksam machen. Meine Freundin steht vor verschlossener Tür. Sie ist immer abgesperrt, wenn ich in meinem Reich sitze. Ich öffne. «Luagsch an Porno?», fragt sie scherzend. Wie ein ertappter Sünder deute ich umgehend auf den Bildschirm. 15%. Sie grinst: «I kumma nit ins Internet». Ich: «I waiss. Waisch, i setza s’System grad noi uf». Sie: «Ok, saisch, wenn’s wieder tuat».

Weiterhin 15%. Dauerdrehendes Zahnrädchen.  Ich harre aus.  Schliesslich bin ich der Computerfachmann hier im Haus. Auch ausserhaus. Meine Mama ruft regelmässig bei Computerproblemen an: «S’Internet isch kaputt». Ich versuche sie jeweils telefonisch anzuleiten. Ein Ding der Unmöglichkeit. Ich muss dann vorbeifahren. Es gibt immer Kaffee und Knabbereien. Ausgedehnte Plauderstunde. Manchmal meint sie gar, es genüge, wenn ich das Internet bei meinem nächsten Besuch «flicke».

15%. Leise surrende Computer-Ventilation. Hypnotisch drehendes Zahnrädchen. Gelöster Geist. Es denkt. Mein Büro beherbergte schon so einige Computer-Generationen. Sie werden immer leistungsfähiger, stärker, schneller. Im Gegensatz zu mir. Mein kleiner Neffe beherrscht mir völlig unbekannte Dinge. In seinem Alter war ich der Bedienungsanleitungslesende technische Treiber im Elternhaus. Höllentempo auf der Datenautobahn. Die Technik zieht an mir vorbei. Geisteserwachen. Endlich ein Ereignis. Schwarzer Bildschirm. Neustart… jetzt steht da 25%.

Irgendwann. Abgebrochene Unendlichkeit. Erlösende Meldung aus der virtuellen Welt: «Hallo, wir haben ihren PC aktualisiert. » Hallo? Wer ist wir? Aufpoppendes Feld. Darin enthalten haufenweise kleingedruckter Text.  Darunter ein einziger Button «AGB’s zustimmen». Was will die Computerfirma aus Übersee von mir? Erspähte Wortfetzen: «Datenzusammenführung», «Personalisierung», «Zahlungsbestimmungen». Ich mag mir das nicht durchlesen, will loslegen. Doch um fortfahren zu können, muss ich diesen einen Button anklicken. Ich werde genötigt, bin wahllos, genervt. Wahrscheinlich habe ich dem weltumspannenden Computerkonzern eben meine Seele überschrieben.

Der Desktop erscheint. Ich bemerke… nichts! Nicht die allerkleinwinzigste Veränderung. Rundherum blinken nun auch wieder alle Geräte, wie wenn nichts geschehen wäre.  Ich schreite zur Bürotür, schliesse diese auf und rufe meiner Freundin zu: «S’Internet tuat denn wieder. I han s’Syschtem öp-däitet.»

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