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Ich werde Churer Stapi!

In «Ruchs Rubrik» beleuchtet Christian Ruch Bedenkliches, Merkwürdiges und Lustiges aus der Region Südostschweiz und darüber hinaus. Heute dreht sich alles das Stimmrecht.

Südostschweiz
27.08.16 - 09:00 Uhr
Ereignisse

Ich bin ja so aufgeregt: In der Stadt Chur sollen niedergelassene Ausländer, also Leute wie ich, das Stimmrecht bekommen! «Ausländer sollen an die Urne können», titelte diese «Südostschweiz». Das wäre wunderbar! Denn bisher durften wir Ausländer nicht an, sondern nur in die Urne, wobei man nicht übersehen darf, dass nach dem Gang in die Urne die Mitwirkungsmöglichkeit an der Urne in der Regel selbst für Stimmberechtigte deutlich eingeschränkt ist.

In meiner bedauerlichen Existenz ohne Auto und Kinder kann ich weder meine Aggressionen auf die Strasse verlagern noch Lehrer verklagen, wenn der naturgemäss hochbegabt-geniale Nachwuchs nur mit einem Fünfeinhalber heimkommt. Umso wichtiger wäre es für meine Psychohygiene, dass ich meine Stimmungsschwankungen auf städtischen Stimmzetteln ausleben dürfte.

Wobei es natürlich sein kann, dass die neuen Mitwirkungsmöglichkeiten mein Leben nicht unbedingt einfacher machen. Bisher musste ich mir nie über so wahnsinnig wichtige Fragen wie die Notwendigkeit eines Churer Sees Gedanken machen. Und wenn meine stimmberechtigte bessere Hälfte am sonntäglichen Frühstückstisch Abstimmungsunterlagen oder Wahlprospekte studierte, konnte ich mir in der Zwischenzeit seelenruhig das letzte Stück Zopf sichern.

Kommt hinzu, dass einen so ein Stimmrecht ja auch misstrauisch macht. Wenn ich bisher unseren Stadtpräsidenten Urs Marti auf der Strasse traf und er mich sehr freundlich grüsste, konnte ich davon ausgehen, dass er das macht, weil er mich relativ nett findet. Oder Angst vor dieser Kolumne hat. Wäre ich stimmberechtigt, müsste ich damit rechnen, dass das alles nur Berechnung ist, er in mir einen potenziellen Wähler sieht oder vermeiden möchte, dass ich ihm den Lohn kürze.

Da fällt mir ein: Wenn man wählen darf, kann man doch auch gewählt werden – oder? Hach, Sie, da ergeben sich ja ganz neue Perspektiven – ich werde Churer Stapi! Die Churer Bischöfe haben jahrhundertelang ihre Kaderleute im heutigen Baden-Württemberg rekrutiert, diese Tradition könnte man doch wieder aufleben lassen. Ausserdem heisse ich Ruch. Und was heisst Ruch rückwärts ausgesprochen? Na also, das passt doch alles bestens!

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