×

Jetzt wird «gegautscht»!

Es wird wieder nass, denn die Lehrlinge werden nach ihrer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung in den Brunnen «getünkt», respektive «gegautscht». Wir haben die Gautschzeremonie am Postplatz in Chur mitverfolgt.

Südostschweiz
28.07.16 - 17:43 Uhr
Ereignisse

Das Gautschen ist ein uralter Brauch, welcher bis ins 16. Jahrhundert zurückgeht. Hierbei werden alle Lernenden ins Wasser getaucht, die mit Druckerschwärze in Berührung gekommen – auch im übertragenen Sinne. So werden beispielsweise Polygrafen, Printmedienverarbeiter und Drucker «gegautscht», aber erst, wenn sie ihre Lehre im Sack haben.

Der Tag des grossen Spektakels wird vor den Täuflingen streng geheim gehalten, sie sollen nämlich überrascht werden. Wenn der Tag gekommen ist, schnappen sich die sogenannten «Packer» die Lehrlinge, welche «gegautscht» werden, und bringen sie zu einem Brunnen, um das Ritual zu vollziehen.

Auch die Somedia «gautscht»

Auch in der Somedia werden dieses Jahr wieder Polygrafen, Printmedienverarbeiter und Drucker am Postplatz in Chur in den Brunnen getaucht. Doch die Tradition ist weit mehr als nur ein nasser Spass: «Die Lehrlinge können und sollen sich auch wehren, wenn sie gepackt und in den Brunnen getaucht werden», erklärt Marco Ludwig, Leiter Medienproduktion Chur und erfahrener «Gautschzeremoniker». Er hat schon so einige gepackt und ins kalte Nass getaucht. Sein Highlight sei vor allem der Mottowagen, welcher speziell für den jeweiligen Lehrling gefertigt wird. Ausserdem habe er einmal einen zwei Meter grossen Lehrling gautschen müssen, dies sei eine Herausforderung gewesen, auch wenn die «Packer» in der Überzahl gewesen waren.

Nun, wie läuft eine solche Gautschzeremonie genau ab? Marco Ludwig erklärt:

Nachdem der Lehrling - im wahrsten Sinn des Wortes - gepackt und zum «Tatort» gebracht wurde, passiert folgendes: Der Gautschmeister liest den Gautschtext (siehe unten) laut vor und gleichzeitig werden die verschiedenen Ritualschritte durchgeführt: auf den nassen Schwamm setzen, mit Wasser übergiessen, in den Brunnen werfen.
Wichtig dabei ist, dass nur diejenige beim Gautschen mitmachen dürfen, die selber einen Gautschbrief besitzen.
Nachdem der Lehrling gebadet wurde, muss er ein Fest organisieren, damit er den Gautschbrief erhält und sich so aus der Lehre «rauskaufen» kann.

Und so sah das heute aus.

Der diesjährige Gautschtext tönt so:

Wir Jünger Gutenbergs aus helvetischen Landen tun hiermit jedermänniglich unserer hochweisen Kunstgenossen Kund und zu wissen, dass die ehrsame Jüngerin unserer hochedlen Buchdruckerkunst

Name des Lehrlings

nach altem Brauch und Herkommen die Wassertauf’ ad posteriorum erhalten wird und damit in alle uns von Kaiser Friedrich III. verliehenen Rechte und Privilegien eingesetzt wird. Kraft derselben gebieten wir alle Kunstgenossen, diese Jüngerin Gutenbergs als echte Schwarzkünstlerin aufzunehmen.

Gegeben zu Chur am 28. Juli anno domini 2016

Packt an! Lasset ihren Corpus Posteriorum fallen auf diesen nassen Schwamm, bis triefen beide Ballen! Der durst’gen Seel’ gebt ein Sturzbad obendrauf, das ist der Tochter Gutenbergs die allerbeste Tauf!

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Ereignisse MEHR