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Verlierer

Pesche Lebrument hat beschlossen, dass er jetzt eine Lebenskrise hat! Jeden Sonntag berichtet er nun für die Zeitung «Südostschweiz» und «Südostschweiz Online» aus seinem Alltag! Heute: Verlierer.

Südostschweiz
24.07.16 - 09:00 Uhr
Ereignisse

Von Pesche Lebrument

Neonlichtgeflutetes Parkhaus. Abgasgestank. Ich knie auf dem harten, kalten Betonboden vor meinem Auto.  Alle Türen mitsamt Heckklappe stehen offen. Ich fahre mit meiner Hand unter den Autositzen hindurch, untersuche Zentimeter für Zentimeter. Ich arbeite mich vom Cockpit her, über die Mittelkonsole, bis zur Hutablage vor.  Trotz penibelster Abtastung bleibt mein Parkticket verschwunden. Weg, fort, auf und davon.

Es ist nicht mein erstes verlorenes Parkticket. Und es ist nicht das erste Mal, dass ich vor meinem Wagen niederknie. Ich beherrsche die Technik des Verlierens meisterhaft. Es ist allerdings eine ziemlich unnütze Gabe, wie ich zugeben muss.

Noch einmal gräbt sich meine Hand kraftvoll in die Polsterritze, bleibt an einem spitzen Metallstift hängen. Etwas Blut tropft aufs Leder. Handicapiert durchsuche ich zum dritten Mal mein Portemonnaie, ziehe alle Karten und Register hervor. Leise rieselt das Münz auf den Rücksitz. Das Parkbillett bleibt unauffindbar. 

Der kurze Weg vom Ticketautomaten zum Auto genügte, um das gelochte Kärtchen spurlos verschwinden zu lassen. Es grenzt an Zauberei. Abrakadabra. Mein Talent beschränkt sich im Übrigen nicht alleine auf Parkkarten. Nicht zuletzt Kreditkarten haben bei mir ein vorzeitiges Ablaufdatum. Sperren kostet übrigens 50 Franken. Ich kenne diesen Tarif auswendig. Meine Kreditkartenfirma sperrt mittlerweile automatisch meine Karte, sobald sie meine Telefonnummer im Display sieht.

Gebückt, die Augen am Boden haftend, laufe ich zurück zum Kassaautomat. Doch auch diese Hoffnung zerschlägt sich. Vom Erdboden verschluckt und ins Nichts gespült.  Ich weiss nicht mehr, wo ich noch suchen soll. Wie der Ochs vorm Berg steh ich vorm Automaten. Hät ich Ochse doch wenigstens die Quittungstaste gedrückt.

Beim Anblick der danebenliegenden Ticketverlorentaste steigt Wut auf. Auch diesen Tarif kenne ich bestens. 30 Franken für ein verlorenes Billett. Diebe, Gauner, Mafia! Diese Halsabschneider bereichern sich an meiner genetisch bedingten Verliererei.

Die von der Parkgaragenticketautomatenverwaltung hätten mich doch eigentlich sehen müssen. In diesem kleinen, halbrunden, braunen Plexiglasdeckel an der Decke steckt eine Videokamera, ich seh’s doch genau. Die müssen ja nur das Überwachungsband zurückspulen und mir erneut ein Ticket ausstellen. Ich könnte jetzt die Notruftaste drücken und ihnen alle Schlötterlis durch die Gegensprechanlage zubrüllen. Allein mir fehlt der Mut. Und die notwendige Dreistigkeit. Und überhaupt. Trottel!

Ticket-Taktikwechsel. Gedanklich prüfe ich meine Optionen. Schnell hinter einem anderen Auto durch die sich schliessende Schranken zu fahren ist keine wirkliche Alternative. Aber könnte ich nicht einfach neben die Einfahrtsschranke stehen und mir auf Knopfdruck ein neues Billet ausstellen? Merkt die Schrankenautomatik eigentlich, dass ich kein Auto bin?

Ich bin am Ende meiner Optionen, sowie Nerven. Ich bezahle die 30 Franken, aber nur unter grösstem innerlichem Protest. Ich sitze ins Auto und durchfahre mental fluchend, dafür aber ordnungsgemäss die Schranke. Zuhause versucht mich meine Freundin aufzumuntern. Sie sagt, ich sei halt Einzigartig, ich sei das Mensch gewordene Bermudadreieck. Sie hat Recht. Doch darüber kann ich nicht lachen. Jetzt habe ich auch noch meinen Humor verloren.

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