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Midsommar und das Leben ist gut

Midsommar, das war der Tag, an dem die Schweden ihren Majstång aufstellten und die Schweizer Fussballnationalmannschaft gegen Polen ein Penalty-Drama erlebte. Midsommar ist für die Menschen in Schweden heilig und der zweitwichtigste Feiertag nach Weihnachten. Ich durfte in diesem Jahr gleich zweimal beim Aufstellen des Majstång dabei sein und erleben, wie sich auch Wehmut an diesem Tag breit macht.

Südostschweiz
27.06.16 - 16:07 Uhr
Ereignisse

Wenn man das Land Schweden liebt, dann ist es das Grösste, an Midsommar mit Einheimischen und anderen Gäste zu feiern. Umso glücklicher war ich, in diesem Jahr gleich zweimal einer Feier beiwohnen zu können. Am Freitag besuchte ich die gemütliche Feier in Braås in Småland. Mitten in einem herrlichen Heimatmuseum mit alten und traditionellen Bauten versammelte sich ein Grossteil der Gemeinde zum gemeinsamen Feiern und Picknicken. Die verschiedenen Gebäude, die alle als kleine Museen dienen, wurden geöffnet und das Volk machte sich auf, alte Schätze zu entdecken. Die Männer lungerten bevorzugt bei den Oldtimern und historischen Landwirtschaftsgeräten rum, während die Damen eher in der Geschirr- und Textilausstellung gesichtet wurden. Soweit war alles, wie immer.

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Alles steht bereit für die Midsommar-Feier in Braås. Foto Andrea Ullius

 

Als dann eine Dame, ich vermute es war die Gemeindepräsidentin, das Mikrofon ergriff und die Feier eröffnete, strömten alle Leute auf die grosse Wiese im Zentrum. Hier war ein schöner Majstång vorbereitet, der dann mir Hilfe der Erwachsenen und Kinder aufgestellt wurde.

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Der Majstång wird mit vereinter Kraft aufgestellt. Foto Andrea Ullius

 

 

 

Majstång

Was ist aber überhaupt ein Majstång? Meist wird am Mittsommerabend (Freitag) ein Baumstamm mit Blättern und Blumen wunderschön geschmückt und dann unter Mithilfe der Leute aufgestellt. Das Wort Maj hat hier aber keinen Bezug zum Monat Mai, sondern geht auf das altertümliche Verb «maja» (mit Blumen schmücken) zurück. Die Stange kann je nach Region unterschiedlich aussehen und wird zum Teil auch erst am Mittsommertag (Samstag) aufgestellt.

Wenn die Stange steht, dann tanzen die Leute fröhlich um dem Baum herum. Meist spielt jemand mit einem Akkordeon Lieder dazu, die lautstark mitgesungen werden. Es gibt ganz bestimmte Lieder und Tänze, die an Midsommar zelebriert werden. Eines dieser Tanzlieder heisst «Små grodorna» und handelt von Fröschen, die imitiert werden.

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Es wird getanzt und gesungen an Midsommar. Foto Andrea Ullius

 

Speziell die Mädchen und Frauen ziehen sich für das Midsommar-Fest schön an und tragen meistens weisse oder blumige Kleider. Hin und wieder sieht man auch, dass die traditionellen Trachten getragen werden. Zudem binden die weiblichen Geschöpfe Kränze aus Birkenzweigen und Blumen und tragen sie als Kopfbedeckung. Wer die kleinen Schwedenmädchen so sieht, dem wird warm ums Herz.

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Schon die Jüngsten schauen dem Treiben andächtig zu. Bild Andrea Ullius

 

Nach der ausgiebigen Tanzerei konnte man sich in Braås mit Kaffee und Kuchen stärken. Oft gehen die Schweden dann nach Hause und feiern mit Freunden und Nachbarn weiter bis in die frühen Morgenstunden. Ich machte mich dann auf den Weg Richtung Süden zum Getnö Gård Åsnen Lake Ressort. Doch nun weiter mit etwas Geschichte und Hintergrund zu Midsommar.

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Die Musik spielt traditionelle Midsommar-Lieder. Foto Andrea Ullius

 

Die Geschichte von Midsommar

Laut Gesetz aus dem Jahr 1953 wird Midsommar immer an dem Samstag gefeiert, der zwischen dem 20. und 26. Juni liegt. Der Freitag davor wird midsommarafton (Mittsommerabend), der Samstag midsommardag (Mittsommertag) genannt. Die Cleveren unter euch vermuten nun natürlich richtig, dass diese Sache etwas mit dem längsten Tag des Jahres zu tun hat. Am 21. Juni beginnt bekanntlich der Sommer und die Tage werden wieder kürzer. Über die genaue Herkunft und Bedeutung von Midsommar in Schweden habe ich schon unterschiedliche Informationen bekommen. Bei meinem Abstecher nach Braås meinte eine Besucherin: «Wir feiern einfach den längsten Tag.» Es scheint jedoch, dass das schwedische Midsommar Fest im Gegensatz du anderen nordischen Ländern keinen christlichen Hintergrund hat. Hier wurde die Feier durch die Kiche Johannes dem Täufer gewidmet.

Der Freitag ist kein offizieller Feiertag, trotzdem sind die meisten Geschäfte spätestens ab Mittag geschlossen und die Leute in den Städten pilgern auf's Land zu ihren Verwandten oder in ihre Sommerhäuser. Stockholm ist an Mittsommer ausgestorben und erinnert schon fast an eine Geisterstadt. Am Mittsommertag bleibt zudem die schwedische Flagge – entgegen der Empfehlung, sie bei Sonnenuntergang oder spätestens um um 20.30 Uhr einzuholen – über Nacht gehisst.

Midsommar für die Gäste inszeniert

Nach dem ich gegen Abend beim Getnö Gard eingetroffen und meinen Platz für das Schwedenmobil bezogen hatte, lud mich Besitzerin Ingrid Olsson auf einen Kaffee ein und erzählte mir viele Dinge über ihr Ressort. Der Campingplatz, der komplett in die Natur mit viel Wald eingebettet ist, liegt wunderbar am See Åsnen im Aspöfjord. Rund um das Ressort hat es viele Naturschutzgebiete und speziell der Seeadler ist eines der Tiere, die man hier antrifft. Es gibt aber auch Elche, Otter und weitere seltene Vögel.

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Die Vogelschutzgebiete darf man nur mit grosser Vorsicht besuchen. Foto Andrea Ullius

 

Spontan lud mich Ingrid für den nächsten Tag zur Midsommar-Feier für ihre Gäste ein. Selber hat sie schon am Freitag im Kreise der Familie gefeiert, am Samstag widmet sie sich aber liebevoll den Gästen auf dem Campingplatz.

Nachdem der Majstång mit Hilfe von allen dekoriert und aufgestellt wurde, Jung und Alt das Tanzbein geschwungen hatten, folgte die grosse Sause am «Schwedenbuffet». Ein Traum, sage ich euch.

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Alle helfen mit beim Schmücken des Majstång. Foto Andrea Ullius

 

Essen und Trinken an Midsommar

Das Büffet, das Ingrid und ihr Team aufgestellt hatten, liess keine Wüsche offen. Alles war da. Die ersten Jungkartoffeln, die zusammen mit eingelegtem Hering (sil), Sauerrahm, Schnittlauch, Dill, Knäckebrot und Käse gegessen werden. Lachs geräucht und roh. Rippchen «Hawai», Janssons frestelse und weitere Leckeren. Zum Nachtisch gab es frische schwedische Erdbeeren mit Sahne und eine Erdbeertorte. Überhaupt, Erdbeeren sind in Schweden Pflicht. Fährt man übers Land, stehen an fast jeder Kreuzung Leute, die Erdbeeren verkaufen. Sollte der Sommer einmal zu kalt oder nass sein und es daher zu wenig einheimische Erdbeeren geben, kommt das einer nationalen Katastrophe sehr nahe. Ingrid ermahnte mich dann, ja den einen oder anderen «Nubb»" (Gläschen Schnaps) zu trinken. Normalerweise singt man dann ein Trinklied, welches davon handelt, den Schnaps entweder auf Ex auszutrinken oder keinen mehr zu bekommen. Auf die Singerei musste ich dann leider verzichten, da das Polenspiel startete. Ich hätte besser weiter getrunken.

Magische Natur

Glaubt man den Überlieferungen, so soll die Natur in der Mittsommernacht (der Nacht zwischen Freitag und Samstag) magisch sein. Elfen tanzen und Trolle stehen hinter den Bäumen. Weiter erzählt man, dass der Morgentau kranke Tiere und Menschen heilen könne. Deshalb sammelte man früher etwas Tau in einer Flasche. Dieser wurde auch zum Backen benutzt; das Brot und die Brötchen wurden davon gross und lecker, so glaubte man.

Sieben Blumen

Aus der Natur stammt auch ein weiterer Brauch an Midsommar. Achtung, diese Anleitung betrifft jetzt nur unverheiratete Mädchen jeden Alters: Pflücke sieben Blumen von sieben verschieden Wiesen und lege sie in der Midsommar-Nacht unter das Kopfkissen. Beim Blumenpflücken musst du absolut still sein. In der Nacht wirst du von deinem zukünftigen Mann träumen. Du darfst aber niemandem davon erzählen, sonst geht der Traum nicht in Erfüllung. Still die Blumen pflücken und danach nichts sagen. Das ist wahrscheinlich der Grund, weshalb gewisse Mädchen nie ihren Traummann finden. Und mir fällt erst jetzt ein, dass ich euch diese Geschichte vor Midsommar hätte erzählen sollen. Vielleicht hätte je eine von mir geträumt.  

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Sieben Blumen von sieben verschiedenen Wiesen sollst du pflücken. Foto Andrea Ullius

 

Die Melancholie der Schweden

Wenn man an Midsommar in die Augen der Schweden schaut, dann sieht man Freude und Begeisterung, wenn Klein und Gross um den Majstång tanzen. Man sieht aber auch Wehmut und Melancholie. Mit Midsommar werden die Tage wieder kürzen, der Höhepunkt des Jahres ist bereits vorbei. Wenn man weiss, wie sehr die Schweden den Sommer und die hellen Tage lieben, dann kann man diese gemischten Gefühle bestens verstehen. Die langen Nächte im Winter sind für die Seele ja nicht gerade eine Wohltat.

Midsommar ist aber auch das Fest, bei dem die Menschen zu sich finden, keine bösen Worte verlieren und das Zusammengehörigkeitsgefühl zelebrieren. Alle sind willkommen, ob Einheimische oder Fremde. In einem Land, das sehr liberal gegenüber Ausländern ist und eine entsprechend grosse Zahl davon hat, eine unbezahlbare Geste.

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Die ganze Familie nimmt am Midsommar-Fest teil. Foto Andrea Ullius

 

Morde an Midsommar

Wer von euch es jetzt an Midsommar nicht nach Schweden geschafft hat oder gar noch nie in Schweden war, der kann sich mit Henning Mankell's Mitsommermord oder Arne Dahl's Ungeschoren auf dem Sofa vertrösten oder zu Ikea gehen und Schwedenmöbel anschauen. Aber Achtung: die Bücher sind ziemlich blutrünstig.

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