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Hohe Hürden hindern junge Asylsuchende am Arbeiten

Die Anforderungen sind hoch, damit ein Betrieb minderjährige Asylsuchende einstellen kann. Damit will das Amt für Wirtschaft und Arbeit die Asylsuchenden vor Ausbeutung schützen. Doch mit den Bestimmungen behindern die Behörden den Einstieg der Menschen ins Berufsleben.

Südostschweiz
28.05.16 - 12:30 Uhr
Ereignisse

Seit 2013 lebt der 17-jährige Eritreer Amineab Maharezgi in der Schweiz. «Mir gefällt es hier sehr.» Nur etwas stört ihn: «Ich möchte arbeiten, um Geld zu verdienen. Ich will mir ein öV-Ticket kaufen, eine Wohnung mieten und wie jeder andere Steuern zahlen», sagt er in gebrochenem, aber gut verständlichem Hochdeutsch. 2013 flüchtet Maharezgi mit seinem Onkel aus Eritrea – «aus Angst vor dem Militär, dem Diktator, dem Krieg». Über den Sudan kommen sie nach Libyen, wo sein Onkel bei einem Unfall ums Leben kommt. Der damals erst 14-Jährige schafft es auf eigene Faust übers Mittelmeer nach Italien. Dort nennt er als Ziel die Schweiz. Er wird durchgewunken und hier registriert.

Nach seiner Ankunft besucht Maharezgi in St. Gallen am gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrum einen einjährigen Integrationskurs. Letzten Sommer wechselt er für die Vorlehre ans BWZ in Rapperswil-Jona. Diese soll Jugendliche auf die Integration ins Berufsleben vorbereiten.

Vorläufig aufgenommen

Maharezgi hat Status «F» – vorläufig aufgenommen. René Hungerbühler, stellvertretender Leiter des kantonalen Migrationsamts, erklärt: «Vorläufig Aufgenommene sind Personen, die aus der Schweiz weggewiesen wurden, sich der Vollzug aber als unzulässig, unzumutbar oder unmöglich herausstellt.» Aufgrund der Lage in Eritrea geht Hungerbühler nicht davon aus, dass Eritreer mit dem F-Status in absehbarer Zeit zurückgeschickt werden können. Bezüglich Arbeitssituation bedeutet das laut Staatssekretariat für Migration: «Die kantonalen Behörden können diesen Personen unabhängig von der Arbeits- und Wirtschaftslage eine Erwerbstätigkeit bewilligen.»

Kein Praktikum erhalten

Nach der Vorlehre schnuppert er zwei Wochen lang in einem Holzbaubetrieb in der Region. Dieser möchte auf Anfrage keine Stellung nehmen. Aus dem Antwortschreiben des AWAs geht aber hervor, dass der Betrieb Maharezgi ein befristetes Praktikum anbietet. Doch das entsprechende Gesuch wird abgelehnt: Da kein anschliessender Lehrvertrag vorliege, sei das Gesuch «nicht zustimmungsfähig». Das heisst: Die Firma müsste Maharezgi einen Lehrvertrag anbieten, bevor er das Praktikum beginnen kann. «Dabei wäre das Ziel des Praktikums doch, die Eignung für einen anschliessenden Lehrvertrag abzuklären», wundert sich Bettina Heer, Leiterin Vorlehre am BWZ. Sie hat Maharezgi während des ganzen Prozesses begleitet.

«Eine missliche Situation»

Roland Lippuner, Hauptabteilungsleiter Arbeitsbedingungen beim AWA, erklärt Sinn und Zweck der Bestimmungen: «Die Hürden für Betriebe, die jugendliche Asylsuchende einstellen wollen, sind so hoch, weil das Missbrauchspotenzial gross ist.» Grundsätzlich würden für jugendliche Asylsuchende dieselben Regelungen gelten wie für Schweizer. Insbesondere schreibe das Bundesrecht vor, die orts-, berufs- und branchenüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen einzuhalten. «Es ist aber so: Auf die speziellen Bedürfnisse jugendlicher Asylsuchender wie etwa den hindernisfreien Einstieg in die Arbeitswelt über ein befristetes, wenn auch schlecht bezahltes Praktikum, sind die Bestimmungen nicht ausgelegt», sagt Lippuner. Das AWA lasse jedoch Abweichungen vom orts- und berufsüblichen Lohn zu. Voraussetzung dafür sei, dass das Praktikum im Rahmen der Vorlehre und in einem Betrieb mit Bildungsbewilligung absolviert werde. Zudem muss Aussicht auf eine Anschlusslösung bestehen.

Das AWA will verhindern, dass Betriebe minderjährige Asylsuchende einstellen und «sie ohne Aussicht auf Anschlussmöglichkeiten zu Tiefstlöhnen ausbeuten». Deshalb verunmöglicht es Maharezgi das Praktikum, obwohl dir Firma ihn einstellen möchte und die Parteien sich auf einen Lohn geeinigt haben. «Eine missliche Situation», findet Bettina Heer vom BWZ.

Roland Lippuner sagt vor dem Hintergrund steigender Fallzahlen: «Wenn man die Situation anpassen muss, sind wir bereit, das anzuschauen.» Das Thema beschäftige die Politik auf verschiedenen Ebenen. Zurzeit sei unklar, ob die Gemeinden oder der Kanton für die Betreuung der jungen Asylsuchenden zuständig sind. Ein Entscheid dazu wird nächste Woche erwartet (siehe Artikel unten).

Unzählige Ansprüche vereinen

Eine ganzheitliche Betrachtung der Situation minderjähriger Flüchtlinge sei ein schwieriger und langwieriger Prozess, weil von unzähligen Seiten Ansprüche gestellt würden: Gemeinden, Regionale Potenzialabklärungs- und Arbeitsintegrationsstellen sowie das Kompetenzzentrum für Integration Innendepartementes und kantonalen Ämtern müssten Ansichten einfliessen», sagt Lippuner.

Es dürfte also noch eine Weile dauern, bis die Bestimmungen gelockert werden – falls überhaupt etwas passiert. Maharezgi hofft, bis dahin eine Firma gefunden zu haben, die ihm eine Lehrstelle anbietet. (dgr)

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