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Andrea Bianchi, der Anwalt der Underdogs

Andrea Bianchi hatte bis zuletzt für Schwache und den Naturschutz gekämpft. Am Montag hat die Mitteilung von seinem Tod einstige Weggefährten erschüttert. Sie trauern um einen Mitmenschen, der nicht gefallen wollte.

Südostschweiz
01.12.15 - 18:46 Uhr
Ereignisse

von Tatjana Jaun

Una tristissima notizia, un grande amico della natura e della giustizia sociale ci ha lasciato. Caro Andrea, ci mancherai!», schreibt Silva Semadeni auf Facebook. Die SP-Nationalrätin spricht vielen aus dem Herzen. Die Kantonspolizei Graubünden hatte am Montag den Tod Andrea Bianchis bestätigt («suedostschweiz.ch» berichtete). Ein Anwohner hatte den 62-jährigen Eiskletterer bei Camsput im Avers an einem Sicherungsseil hängend und leblos vorgefunden. Todesursache: noch unklar.  Bianchis Tod erschüttert nicht nur Semadeni.  Er habe seine Arbeit sehr geschätzt, sagt SP-Mann Conradin Caviezel.

Bianchis Engagement sei stets glaubwürdig gewesen, er sei ein sehr gescheiter Jurist gewesen, hält Parteikollege Jon Pult fest. SP-Regierungsrat Martin Jäger erinnert sich an einen Mann, der «in jeder Hinsicht ein Kämpfer» war. Andere erinnern sich an einen Idealisten,  «kein Einfacher», verbissen, ehrgeizig. Andrea Bianchis Leidenschaft für politische Auseinandersetzungen bescherte ihm offensichtlich nicht nur Freunde. Seine politische Prägung erhielt Bianchi als Student. Nach drei Semestern hängte er sein Musikstudium an den Nagel,   das «feu sacré» habe gefehlt, sagte Bianchi einst gegenüber der «Südostschweiz».

Ein Feuer entfachte stattdessen Salvador Guillermo Allende Gossens, der einstige Präsident Chiles, der auf demokratischem Weg  eine sozialistische Gesellschaft in Chile etablieren wollte. Er galt dem jungen Bianchi einerseits als politischer Wegbereiter und anderseits als Entscheidungshelfer für seine berufliche Zukunft: Bianchi begann Jura zu studieren.

Fokus auf Naturschutz und Sport

«Ich hielt Andreas Ansichten immer für sehr extrem», erinnert sich Semadeni, die ihn während ihres Studiums in Zürich kennen gelernt hatte. Er war einer, der sich stets für soziale Gerechtigkeit einsetzte. Gepaart mit radikalen Ansichten und idealistischem Gedankengut passte das zur Revolutionären Marxistischen Liga, der Bianchi angehörte. In Zeiten des Kalten Krieges waren solche linksradikale Ansichten allerdings kaum salonfähig. Bianchi störte das nicht.

Das Alter machte aber auch ihn  ruhiger. Bianchi kämpfte nach dem Studium leiser, das linke Herz allerdings schlug weiterhin laut. Als Mitglied der politischen Gruppierung Viva Kollektiv engagierte er sich seit den Siebzigerjahren  für linke Anliegen; er gab die Zeitschrift «Viva» heraus. Aus der Gruppierung erwuchs schliesslich die Alternative Liste Chur. Für die daraus entstehende Linke Alternative sass Bianchi von 1981 bis 1988 im Churer Gemeinderat. 1986 wurde er zum Grossrats-Stellvertreter  gewählt, in den Jahren 1991 bis 1994 sass er schliesslich im Grossen Rat.

Darüber hinaus war Bianchi Delegierter im Gemeindeverband für Abfallentsorgung (Gevag) in Graubünden, danach Vorstandsmitglied, Mitglied der Verfassungskommission und Richter des Bezirksgerichts Plessur. Als Mitglied der Kommission für das Berg- und Schneesportwesen setzte er seinen Fokus später verstärkt auf den Bergsport und den Naturschutz. Das widerspiegelte sich in seinen Mandaten: Stiftungsrat der Stiftung Bergwaldprojekt, Schweizer Vertreter bei  Mountain Wilderness, Vizepräsident von Mountain Wilderness International. Daneben blieb er aber stets «der Anwalt der Underdogs».

Karriere beenden

Andi Götz, den er 1986 als Praktikant und im Jahr 1987 als Partner in seine Anwaltskanzlei aufnahm, erinnert sich: «In unserem Anwaltsbüro gingen Randständige und Asylbewerber ein und aus. Sie alle besassen praktisch kein Geld.»

Im Einsatz für die jene, die sich nicht immer zu wehren wussten – das war Bianchi bis zuletzt als Vorsteher der Schlichtungsbehörde für Mietsachen.  Nach fünfjähriger Zusammenarbeit hängte Götz seinen Anwaltsberuf für immer an den Nagel, während Bianchi nur davon träumte. «Er sprach oft davon, seine Anwaltskarriere zu beenden, aber er sagte, er habe keine Alternative dazu. Als Bergführer fand er dann doch eine Teilzeit-Alternative zum Juristenleben.» Sein Wunsch nach einem anderen Leben als Jurist war von aussen nicht spürbar.  Sei es als Kämpfer für ein gerechteres Wahlsystem, als Anwalt für die Natur oder als Rechtsvertreter der Nachbarn von Tennisstar Roger Federer – Bianchi eilte stets der Ruf eines brillanten, allseits geschätzten Juristen und Anwalts voraus.

Am 21. September 1965 stürzte sein Vater Rico Bianchi am Tinzenhorn ab und verstarb. Andrea Bianchi war damals zwölf Jahre alt. 50 Jahre später, 62-jährig, folgt er seinem Vater. Andrea Bianchi hinterlässt einen 13-jährigen Sohn.

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