×

Bündner Wildhut verzweifelt am Gleitschirm-Weltcup

Der Konflikt um den laufenden Gleitschirm-Weltcup im Bündner Oberland hat sich verschärft. Trotz neuer Flugverbotszonen sei die Störung des Wildes diese Woche so schlimm wie noch nie, kritisiert die Wildhut. Ihr ist das Treffen der Gleitschirm-Elite seit Jahren ein Dorn im Auge.

Südostschweiz
14.08.15 - 11:46 Uhr
Ereignisse

Die Wildhut hat ein scharfes Auge auf den einwöchigen Wettkampf. Knapp zehn Wildhüter im Bündner Oberland und Umgebung beobachten bis zum Abschlusswettkampf am Samstag die 120 Gleitschirmpilotinnen und -piloten. Auch Werner Degonda, Wildhüter-Bezirkschef, postiert sich jeweils an einer für das Wild kritischen Stelle der täglich wechselnden Flugrouten. «Mit grösster Wahrscheinlichkeit ärgere ich mich dort», erzählt er. Wenn ein Schirm zu nahe komme, flüchte das Wild panikartig talwärts. Oft würden Jungtiere von den Müttern getrennt. Oder Tiere verletzten sich schwer – wie diese Woche ein Gämszicklein, das sich bei einem Überschlag im Steilhang den Rücken brach.

Es tue ihm immer wieder weh, die Tiere so zu sehen, sagt Degonda. Und in zweiter Konsequenz schadeten die Störungen dem Wald. Laut dem Wildhüter flüchten die Tiere aus den hochgelegenen Sommereinstandsgebieten hinunter in die Wälder und verstecken sich dort gleich einige Tage. Zurück bleiben Verbissschäden an Jungbäumen.

Mit den Veranstaltern habe man sich vor einem Jahr zwar auf neue Flugverbotszonen geeinigt, genützt habe das aber wenig, klagt Degonda. Wegen schwieriger Flugbedingungen seien diesmal viele Piloten ungewöhnlich tief geflogen und hätten das Wild noch mehr verschreckt. Zudem seien die Flugverbotszonen oft missachtet worden.

Kommunikation auf Umwegen

«Leider können wir keine Flugverbote sprechen», bedauert George Brosi, Chef des Bündner Amtes für Jagd und Fischerei und oberster Wildhüter. In seinen Augen müsste es für die Piloten möglich sein, wichtige Sommereinstandsgebiete zu umfliegen. «Wir wollen via Gemeinden nochmals mit den Veranstaltern reden», erklärt er.

Seit ein Kontakt zum Weltcup-OK versandete, sucht auch Wildhüter Degonda das Gespräch mit den Gleitschirmlern nur noch auf Umwegen. So versuchte er, die Jägerschaft zu einer Intervention bei den Gemeinden bewegen zu können. «Ich dachte, dass ich so mehr erreiche, als allein», erklärt Degonda. Aber der Elan der Jäger sei «eher mässig» gewesen. Nach der Gründung einer Arbeitsgruppe sei wenig passiert.

Auch Veranstalter ist frustriert

Womöglich sucht die Wildhut aber zu weit. «Wir können uns noch diese Woche an einen Tisch setzen», erklärt Martin Scheel, Organisator des Worldcups. Er versuche seit einem Jahr, die Wildhüter zu treffen. Diese verweigerten aber das Gespräch.

«Wir haben auf dieses Jahr hin freiwillig Flugverbotszonen massiv vergrössert, um das Wild zu schonen», erzählt Scheel. Und man sei bereit, diese zusammen mit der Wildhut zu optimieren. «Ich weiss, wo es für uns wichtig ist, fliegen zu können, und die Wildhüter wissen, wo es für die Tiere wichtig ist, ungestört zu sein», sagt der OK-Chef. Es sei wirklich schade, dass Gespräche nicht zu Stande kämen.

Die Wildtiere sind den Weltcup-Organisatoren nicht egal. Verstösse gegen die Flugverbotszonen werden mit Strafpunkten geahndet. Jeder Pilot wird per GPS überwacht, und alle geflogenen Strecken werden im Internet veröffentlicht. Gemäss den Penalty-Listen halten sich die Verstösse zahlenmässig in Grenzen. Mehr als acht waren es nur am Mittwoch, als 27 Piloten bei schwierigen Bedingungen in Sperrzonen hineinflogen.

Zu viele Hirsche, nicht zu viele Gleitschirme

Rückendeckung erhält Scheel von der Gemeinde Disentis, wo die Piloten starten und landen. «Der Gleitschirm-Weltcup ist für uns aus touristischer Sicht sehr wichtig», erklärt Gemeindepräsident Francestg Cajacob. Einerseits bringe der Anlass Wertschöpfung, andererseits seit der Werbeeffekt durch die internationale Berichterstattung gross.

Die Verbissschäden am Wald als Folge des Wettkampfs relativiert Cajacob: «Das Problem sind zu viele Hirsche, nicht zu viele Gleitschirme.» Um den verfahrenen Konflikt um den Weltcup zu entschärfen, wird die Politik nun aktiv. Der Kreis Disentis organisiert einen runden Tisch mit allen Betroffenen.

Wildhüter Degonda und Organisator Scheel werden ihre Gesprächs- und Kompromissbereitschaft also doch noch unter Beweis stellen können. «Es wird sehr, sehr schwierig werden», dämpft Cajacob die Erwartungen. Die verschiedenen Interessen von Sport, Tourismus und Naturschutz würden sich «fast ausschliessen». (sda)

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Ereignisse MEHR