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«Ich mache keine Designer-Vaginen»

Colette Camenisch verkleinert Schamlippen und verengt Scheiden. Damit kämpft die Intimchirurgin für die Thematisierung der Vagina und gegen viele Vorurteile.

Südostschweiz
29.07.15 - 08:00 Uhr
Ereignisse

Jetzt ist auch die letzte Tabuzone unters Messer gekommen: Die Schönheitschirurgie befasst sich zunehmend mit dem weiblichen Intimbereich. Die Nachfrage ist da. Laut aktuellen Zahlen lassen sich in der Schweiz und in Deutschland jährlich über 10 000 Frauen ihre Genitalien operieren. Colette C. Camenisch ist Fachärztin für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie im Zentrum für plastische Chirurgie in der Klinik Pyramide am See in Zürich. Im Schnitt berät sie wöchentlich zwei Frauen, die sich einen Eingriff im Intimbereich überlegen. Tendenz steigend.

Frau Camenisch, Sie operieren den Intimbereich der Frauen. Mit welchem Ziel? Sollen wir alle wieder aussehen wie fünfjährige Mädchen?

Colette Camenisch: Der Intimbereich einer Frau wird nie so aussehen können wie der eines Mädchens. Wenn jemand die Vorstellung hat, dass man irgendetwas spritzen, operieren oder initiieren kann, um zum Schluss so auszusehen wie ein fünfjähriges Mädchen, dann bin ich nicht die richtige Chirurgin. So etwas ist nicht möglich. Es geht vielmehr darum, eine Grössenordnung von einer normal durchschnittlichen Frau zu finden und nicht zu übertreiben.

Und was gilt als normal?

Eine Norm existiert so nicht. Ich kann kein Anatomiebuch aufklappen, um zu sehen, was der Norm entspricht. Es gibt auch keine ethischen und medizinischen Richtlinien über das, was dem Durchschnitt entspricht. Es liegt alleine an mir und meiner Patientin, die Ethik in diesem Bereich zu entwickeln.

Beim Begriff Intimchirurgie denken die meisten Menschen sofort: Oh nein! Muss das jetzt auch noch sein.

Ja das ist so. 50 Prozent der Leute sehen in der Intimchirurgie etwas Suspektes. Mit meiner Tätigkeit versuche ich auf einer Schiene zu bleiben, die immer noch Sinn macht. Ich operiere ja keine Frauen, die nur wenig vergrösserte Schamlippen haben. Meine Patientinnen haben Schamlippen mit einer durchschnittlichen Grösse von sechs Zentimeter Länge und vier Zentimeter Breite. Das können massive Vergrösserungen sein.

Welches sind die meistgewünschten Eingriffe?

Die Mehrheit der Operationen die ich durchführe sind Schamlippen-Verkleinerungen, sogenannte Schamlippen-Reduktionen. Die äusseren Schamlippen werden mit zunehmendem Alter immer kleiner, während die inneren Schamlippen immer grösser werden. Bei einem zweijährigen Mädchen sieht man die äusseren Schamlippen aber keine Inneren. Mit den Jahren wechselt das. Die äusseren Schamlippen verringern sich und die inneren werden sichtbar. Zudem verenge oder straffe ich Scheiden, die bei schweren Geburten traumatisiert wurden.

Was sind das für Frauen, die sich für sich einen Intimeingriff wünschen?

Zu mir kommen Frauen mit einem echten Problem. Die haben sich sechsmal überlegt, ob sie vorbeikommen wollen. Oft kommen sie mit einem Artikel über mich in der Hand zu mir. Einen Artikel, den sie schon vor drei Jahren gelesen haben, aber so lange brauchten, um den Schritt in meine Praxis zu wagen.

Sie sprechen von ästhetischen und rekonstruktiven Eingriffen im Intimbereich.

Der Übergang von einem ästhetischen zu einem rekonstruktiven Eingriff ist immer fliessend. Man kann sich fragen, ob bei einer Patientin, deren Schamlippen durch eine Zangengeburt zerstört wurden, eine Operation ästhetischer oder rekonstruktiver Natur ist. Für die Frau ist es enorm unangenehm, wenn die eine Schamlippe nach oben geklappt ist und die andere nach unten. Das stört eine Frau, weil es so die Schamlippen einklemmt. So etwas ist für mich nicht nur eine Frage der Ästhetik. Oder die Patientin, die falsch operiert wurde und deren Schamlippen wie bei einem Kleeblatt viergeteilt sind. Das sind Probleme, die hat man bis heute einfach nicht thematisiert. Das Gebiet der Intimchirurgie ist noch relativ jung, doch mit einer Wachstumsrate von rund 35 Prozent zeichnet sich ein Trend ab. Ich würde es nicht als Trend bezeichnen. Aber endlich ist unsere Intimzone ein Thema. Und neu ist, dass man darüber diskutieren darf. Sehr viele Frauen leiden schon lange. Es ist ein Bedürfnis da. Bis heute hatten Frauen gar keine Anlaufstelle für ihre Probleme im Intimbereich.

Was hat Sie in Ihrer Praxis bis anhin am meisten irritiert?

Der Umstand, dass Frauen durchs Leben gehen und sogar Kinder gebären, ohne ein einziges Mal ihre Vagina gesehen zu haben. Sie können sicher sein, dass jeder Mann genau weiss, wie lang und wie breit sein Penis ist. Der Mann hat einen ganz anderen Bezug zu seinem Penis, weil er ihn auch x-mal pro Tag in den Händen hat, was ja bei uns nicht der Fall ist.

Sind es die Männer, die uns diktieren, wie wir zwischen den Beinen auszusehen haben?

Den Männern ist es ziemlich egal, wie eine Vagina aussieht. Ich habe viele Männer, die mit ihren Frauen in die Sprechstunde kommen und sagen, ihnen spiele das überhaupt keine Rolle.

Und das glauben Sie?

Ja, denn einer der nicht so denkt, würde es a) nicht kommunizieren und b) schon gar nicht mitkommen und sich vor mir outen. Was ich aber nach einer Rekonstruktion oft höre, ist, dass das Sexleben besser geworden ist. Einfach weil sich die Frau befreiter fühlt. Und wir wissen, wenn sich eine Frau im Kopf befreit fühlt, dann ist auch der Sex besser.

Wie steht es um die Risiken? Beispielsweise eine Gefühlslosigkeit nach einem Eingriff?

Ich mache ja nichts an der Klitoris. Und haben Sie sich schon mal in die Schamlippen geklemmt, das tut nicht wahnsinnig weh, weil man da nicht sehr viel Gefühl hat. Aber man muss vorsichtig sein, dass man nicht zu nahe an die Klitoris kommt. Die ist unterschiedlich gross und schön in eine Vorhaut eingepackt, dass man sie eben gar nicht auspacken soll. Die soll dort drin bleiben.

Apropos Verstümmelung, Frauen werden beschnitten, also verstümmelt. Kann man solchen Frauen mit der Intimchirurgie wieder zu einem Gefühl verhelfen?

Es gibt Fälle, wo beschnittene Frauen nach einer Operation wieder orgasmusfähig sind. Häufig werden sie schon als Mädchen beschnitten, darum wissen sie gar nicht, was ein Orgasmus ist. Aber es geht vor allem darum, dass man diese Frauen wieder glücklich machen kann. Sie werden nicht nur körperlich beschnitten, sondern eben auch seelisch. Mein Traum ist es, solche Operationen durchführen zu können. Aber sie sind sehr schwierig und es gibt weltweit nur eine Handvoll Ärzte, die das können und dementsprechend auch wenig Möglichkeiten, solche Eingriffe zu lernen und die nötigen Erfahrungen sammeln zu können.

 Mit Colette Camenisch sprach Andrea Hilber Thelen 

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