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Sparpreis

Pesche Lebrument hat beschlossen, dass er jetzt eine Lebenskrise hat! Jeden Sonntag berichtet er nun für die Zeitung «Südostschweiz» und «Südostschweiz Online» aus seinem Alltag! Heute über die Tücken von Sparpreisen

Südostschweiz
18.02.17 - 17:01 Uhr
Schreibt über sein Leben und das älter werden - Pesche Lebrument.
Schreibt über sein Leben und das älter werden - Pesche Lebrument.

Von Pesche Lebrument

Gepflasterte Einkaufsstrasse. Laden reiht sich an Laden. Auslage folgt auf Auslage. Zufällig sind wir hierher geraten. Ich und meine Freundin. Die Strasse hinunterschreitend ist sie den brandroten Preisschildern zugewandt. Die Schaufenster schreien: «Ausverkauf», «50% Rabatt», «Reduziert», «2 für 1», «Sale», «Winterschlussverkauf».

Vor irgendeinem for men-Laden bringt sie mich zum Stehen. Neben der winterlich gekleideten Schaufensterpuppe verkündet eine überdimensionale Tafel: «Final sale», der Ausverkauf vom Ausverkauf. Üblicherweise ist meine Freundin eine rationale und zudem keine eifrige Einkäuferin. Sie erblickt das grossgeformte, weisse Styropor-Prozentzeichen, welches an Fäden von der Schaufensterdecke hängt. Die Rabatt-Gestalt und meine Freundin stehen sich gegenüber.

«Magsch as paar noi Kleider poschta?», fragt sie betont liebenswürdig. Ihre Bitte ist Befehl. «Dini Hosa händ würkli usdient», fügt sie an. Ich: «Meinsch?» Sie senkt ihren Kopf leicht. Durch die verengten Augenlider fixiert sie mich.

Wir betreten den Laden. Es riecht nach neuen Kleidern. Menschen umschwirren Regale und Garderoben. Ware wild durcheinander auf Wühltischen. Gleichgültig begutachte ich einen Stapel Hosen. Ich kenne noch nicht mal meine Grösse. Meine Freundin kämpft sich unbeirrt und stilsicher durch das Angebot. Ihre Arme stemmen eine dunkle Jeans in die Luft. Ihr Ruf quer durch den Laden: «Witsch dia amol aprobiera?».

Umkleidekabine. Die Hose passt perfekt. Ich ziehe den kurzen Sichtvorhang. Sie steht da mit verschränkten Armen und begutachtet mich: «Umdräha». Ihre verzögerte Wertung: «Dia spannt glaubs as biz. Bin grad wieder do.» Ich bin offenbar weder «slim» noch «fit».

Warten. Reger Betrieb rund um die Umkleidekabinen. Ich beobachte, wie andere Männer unverschuldet durch weibliche Hände in Rabatte gehüllt werden. Werbebotschaften fallen aus Deckenlautsprechern: «Profitieren Sie jetzt von unserem Sparpreis.» Was bitteschön ist ein Sparpreis? Sonderbare Wortschöpfung. Erneute Deckenlautsprecherbotschaft: «Supersondersale, nur hier und heute: zusätzliche 30% auf bereits reduzierte Ware.» Wenn das so weiter geht, müssen die mir beim Kauf noch Geld herausgeben.

Schon nähert sich meine Freundin aus den Weiten des Geschäfts mit neuer Hose. Anprobe. Sie mustert mich. Nickt. «Gfallts diar?» Mit dieser scheinbaren Frage besiegelt sie den Kauf und ergänzt: «Au no an Pulli?» Bald hängen Kleiderbügel wild durcheinander. Mein «passt nicht»-Stapel auf dem Umkleidekabinenhocker wächst. Mit zunehmender Zeit schwindet meine Einkaufsbereitschaft. Doch sie vollendet unerbittlich ihr Werk. «I luag au no schnell», verkündet sie schliesslich und verschwindet hinter Wühltischen.

Sehr viel später an der Kasse. Die Verkäuferin fragt, ob ich schon eine Kundenkarte hätte. Mit dieser könne ich bei meinem nächsten Einkauf vom Einführungspreis profitieren. Warum nicht. Mein Portemonnaie beult sich bereits aufgrund zahlloser Mitgliedskarten. Mir scheint, als Kunde bin ich König und Kamel zugleich in dieser Preis-Fatamorgana, die das ganze Jahr über an mir vorüberzieht. Vom Winter- zum Sommerschlussverkauf mitsamt Frühlingsrabatt und Herbstaktion.

Von den Kleidern baumeln die vielen Etiketten mit den durchgestrichenen Originalpreisen. Während die Verkäuferin die Karte ausstellt, rechnet meine Freundin vor, wie viel das alles regulär gekostet hätte. Schön und schick zum Schnäppchenpreis. Ich argumentiere, dass Sparen ein Verzicht, und kein Erwerb sei. Sie erwidert, dass wir trotzdem weniger bezahlen würden.

Die Verkäuferin tippt. Jede Ware hat ihren Preis. Ich öffne meine Brieftasche. Ich gebe aus, was meine Freundin eingespart hat. Der Sparpreis lässt sie strahlen. Ich seh sie glücklich. Hier scheint mir ein wahrer Wert zu liegen.

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