×

Routineritual

Pesche Lebrument hat beschlossen, dass er jetzt eine Lebenskrise hat! Jeden Sonntag berichtet er nun für die Zeitung «Südostschweiz» und «Südostschweiz Online» aus seinem Alltag! Heute über den nicht immer ganz einfachen Gang ins Fitnesscenter.

Südostschweiz
04.02.17 - 17:24 Uhr
Pesche Lebrument hinterfragt seinen Alltag.
Pesche Lebrument hinterfragt seinen Alltag.

Von Pesche Lebrument

Im Winter werden die Kleider weit. Der Bauch auch. Pasta, Raclette, Zwiebelkuchen. Im Sommer ersetzt der Fitnessteller gelegentlich das Fitnesscenter. Doch bei Schnee und Kälte verlangt der Körper Reserven. Mein Bauch hängt mir zum Halse raus.

Vom Gewissen genötigt bequeme ich mich ins Auto. Fitnesscenter nach Feierabend. Freundlicher Empfang. Willkommen im Club. Hier kennt jeder jeden, jeder ist mit jedem per Du. Das ist äusserst praktisch. Ich kenne viele Gesichter, jedoch nur wenige Namen. Seit Jahren bin ich Mitglied.

Umkleide. Umziehen. Früher achtete ich penibel darauf, dass mein T-Shirt in Form und Farbe zur Trainingshose passte. Die antrainierten Armmuskeln suchten durch das ärmellose Textil das weibliche Auge zu beeindrucken. Heute trage ich T-Shirts, die ich auch für die Gartenarbeit benutze.

Kopfhörer im Ohr. Ich will für mich alleine unter Menschen sein. Meine Hände heben Hanteln. Gewichte bekämpfen mein Gewicht. Es folgt turnusgemäss die Bauchspeckwegmaschine. Routineritual. Doch die Maschine ist besetzt. Ein junger Durchtrainierter starrt sitzend in die Ferne. Regungslos. Ärmellos. Ich tigere herum, warte – und noch etwas länger. Ich verachte sie, die Ausruher, ebenso wie die Handtuchreservierer. Ich kann nicht einfach mit einer anderen Übung fortfahren. Unterbrochen ist mein Routineritual. Herumtigern. Sehr viel später trainiert er weiter. Jede seiner Bewegungen wird von triebhaftem Gestöhne begleitet. Er trägt Kopfhörer.

Er ist am Ende. Ich setze und forme mich. Gleich gegenüber trimmt sich eine zierliche Schönheit. Die Natur hat sie dort beschenkt, wo sie andere bestraft hat. Sie trainiert an der Brustpresse. Ein synthetisches Fitnessleibchen zeichnet ihre Form nach. Warum trage ich nur so ein schäbiges T-Shirt?

Die Bauchspeckwegmaschine lässt meinen Oberkörper eine wiederkehrende Drehbewegung ausführen. Dabei muss ich stets in ihre Richtung schauen. Mein Blick umgarnt sie jedoch immer nur dann, wenn sie nicht gerade in meine Richtung sieht. Routineritual. Ich leg heute mehr Kraft in die Übung als üblich. Erschöpftes Ausruhen. Sitzend starre ich in die Ferne.

Es folgt der Oberschenkelmuskelformer. Dieses Gerät grätscht mich in Positionen, in denen ich mich selbst nicht sehen möchte. Ich laufe eine Station nach der anderen ab. Seit Jahren der genau gleiche Ablauf. Seit Jahren die genau gleichen Bewegungen. Routineritual.

Schliesslich lasse ich mein Training auf dem Laufband auslaufen. Meine Kehle keucht bereits nach wenigen Minuten. Ein deutlich älterer Mann läuft neben mir wie der Teufel. Meine Augen schielen heimlich auf sein Display. Kaum zu glauben. Er hat ein weitaus anspruchsvolleres Programm eingestellt. Schon nach 10 Minuten auf dieser Stufe wäre ich platt. Meine äussere Form entspricht meiner inneren. Er bemerkt mich schielend. Ich: «Hallo.» Gezwungener Gruss an den Unbekannten. Wir sind per Du.

Umkleide. Umziehen. Der Duft von frisch trainiert trifft auf frisch geduscht. Rund um mich herum Männer jeglicher Grösse und Breite, beleibt wie bemuskelt, Dünn- und Dickhäuter. Der Blick auf fremde Problemzonen relativiert meine eigenen. Es ist schön, bloss Durchschnitt zu sein.

Bevor ich die Waage betrete, föhne ich immer meine Haare. Ich wiege mich ausschliesslich auf dieser Waage. Meine Ur-Waage zeigt: Auf dem Weg zum Sommerstrandkörper hinterlasse ich noch allzu tiefe Fussspuren. Es wird ein weiter Weg bis dahin sein. Ich bin mein eigener Motivationstrainer. Mein Wille erneuert jährlich das Fitnessabo, mein Wunsch geht trainieren.

Die angespannten Muskeln lassen die Brust anschwellen, ebenso der Stolz über den vom Routineritual betäubten inneren Schweinehund. Zudem steht die Brustpressefrau gleich drüben beim Empfang.

Auto. Daheim. Muskeln ermüdet, Hunger erwacht. Pasta, Raclette, Zwiebelkuchen. Routineritual.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR