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Mehr als Hundert Engel

Ramona Tanners Leben ist von einem Mann abhängig, den sie nicht kennt: ihrem Blutstammzellspender. Nach der erhaltenen Spende am 11. November hofft sie, noch viele Jahre zum Leben zu haben.

Südostschweiz
18.12.16 - 19:00 Uhr

Von Simone Zwinggi

Ihre Stimme klingt am Telefon so, wie man sich jene einer jungen Frau vorstellt: sorglos und glücklich. Doch die 30-jährige Ramona Tanner aus Weesen ist schwer krank. «Seit vergangenem Mai bin ich akut krank», erzählt sie. Und wurde anfänglich als Simulantin abgestempelt, als sie einen Arzt aufsuchte. Doch Mitte Juni erhielt sie dann die Diagnose: MDS, myelodysplastisches Syndrom. Eine Art von Leukämie, an der normalerweise Leute ab 60 Jahren erkranken.

16 Wochen im Spital

Nach der Diagnose wurde Tanner sofort zu den Leukämiespezialisten ins Unispital nach Zürich eingewiesen. Die Chemotherapie begann: vier Wochen Chemo im Spital, eine Woche zu Hause, vier Wochen Chemo. Ihr Immunsystem sei dabei komplett heruntergefahren worden, Übelkeit, Durchfall und eine schlechte psychische Verfassung hätten den Tagesablauf geprägt, beschreibt Tanner jene Wochen.

Klar war: Ohne einen passenden Blutstammzellspender würde ihre Zukunft schwarz aussehen.Der 23. September brachte die erhoffte Meldung: Ein Spender sei gefunden worden, wurde Tanner mitgeteilt. Anfang Oktober wurden die umfangreichen Tests durchgeführt, die ein Stammzellenspender über sich ergehen lassen muss. «Als Stammzellenspender hilft man Leben retten und erhält gleichzeitig einen kompletten kostenlosen Gesundheitscheck», beschreibt Tanner die Vorzüge eines Spenderlebens. Doch in diesem Fall deckte der Gesundheitscheck etwas auf, das bisher übersehen wurde: Der potentielle Spender war selbst krank. So blieb Tanner wiederum nur die Hoffnung. Jene auf einen neuen Spender. «Aber der Spender hat mir sehr leid getan», betont sie. «Da willst Du jemandem helfen und merkst, dass Du selbst krank bist.»

Passend zum Fasnachtskind

Kurz nach diesem Rückschlag seien dann wohl «mehr als Hundert Engel» im Einsatz gewesen, fährt Tanner fort. Nur zwei Wochen später erhielt sie wiederum eine Meldung von einem passenden Spender. Diesmal von einem Gesunden.

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So unspektakulär und doch so wichtig: Blut von einem passenden, gesunden Spender.

So stand der Blutstammzellspende nichts mehr im Weg. Am 2. November musste Tanner eine weitere hochdosierte Chemotherapie über sich ergehen lassen. Und dann – «passend zu mir als Fasnachtskind» – erhielt sie am 11.11. die Blutstammzellen. Abends um 17.30 Uhr. «Ganz unspektakulär verlief das Ganze. Die Krankenschwester und ich haben eine Dreiviertelstunde mit diesem Blutbeutel verbracht, über Gott und die Welt gesprochen und Simpsons geschaut», beschreibt sie diesen wichtigen Abend in ihrem Leben.

Keine Garantie, aber viel Kraft

Dass mit dieser Blutstammzellspende nun alles in Butter sei ist aber ein Trugschluss. Bis im Februar müsse sie zweimal pro Woche nach Zürich zur Untersuchung gehen und täglich 16 verschiedene Medikamente einnehmen, erklärt Tanner. Denn es sei gut möglich, dass ihr Körper die Spende in den kommenden Wochen noch abstosse. «Die Spende ist keine Garantie für eine gesunde Zukunft. Aber sie gibt Kraft zum Weiterkämpfen», fasst sie ihre Situation in Worte. Sie sei ihrem Spender auf ewig dankbar.

Ihren Dank persönlich aussprechen darf Tanner aber nicht. Die weltweite Spendenvergabe verläuft anonym. Erst in zwei Jahren bestehe die Möglichkeit, dass sie ihre Dankesworte in einem Brief festhalten und via ihrem Arzt dem Spender übergeben könne. Nur durch Zufall – einer der Ärzte habe sich ein wenig verplaudert – wisse sie, dass sie die Spende von einem Mann erhalten habe.

Nur mit Sonnencrème und dick eingepackt

Nun ist Tanner zu Hause in Weesen. Sie ist angewiesen auf die Hilfe ihrer Eltern und verbringt fast die ganze Zeit im kleinsten Kreis ihrer Familie und im Haus. Nach draussen gehen dürfe sie nur «bis oben» eingepackt und mit einer dicken Schicht Sonnencrème, um sich nicht zu verbrennen, erzählt sie.

Natürlich sei ihre Situation schwierig, sagt Tanner. Doch oftmals sei es für ihre Angehörigen noch schwieriger als für sie, weil sie nicht viel tun können. «Aber viele von ihnen haben etwas für andere Leukämiekranke getan, indem sie sich seit meiner Krankheit als Blutstammzellspender registriert haben.» Das schätze sie sehr. Sie habe auch Verständnis, wenn jemand diesen Schritt ablehne. Aber jemand, der nur für sie und nicht für jemand anderen spenden würde, den könne sie nicht verstehen. «Es braucht möglichst viele Spender, damit möglichst viele Kranke einen gesunden Spender finden», erklärt sie.

Nun hofft Tanner Tag für Tag, dass ihr Körper die Blutstammzellspende auch weiterhin akzeptiert. Eine kleine Abwechslung im Alltag bieten die kommenden Festtage. Auch wenn sie bei der Familie Tanner nur im ganz kleinen Kreis stattfinden werden.

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