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Glühendes Verlangen

Pesche Lebrument hat beschlossen, dass er jetzt eine Lebenskrise hat! Jeden Sonntag berichtet er nun für die Zeitung «Südostschweiz» und «Südostschweiz Online» aus seinem Alltag. Diese Woche: Zigaretten und der Kontostand.

Südostschweiz
21.08.16 - 09:00 Uhr

Von Pesche Lebrument

Es gibt Tage, da fehlt sie mir sehr. Und es gibt Tage, an denen ich nicht merke, wie sehr sie mir fehlt. Meine Zigarette. Es gibt kaum eine Fotografie der letzten 25 Jahre, auf der ich ohne Glimmstängel abgebildet bin. Oder zumindest nicht ohne die vom Päckli ausgebeulte Hosentasche.

Vergangenheit: „Zwei Päckli mol 8 Franka, macht 16 Franka pro Tag. Das sind 112 Franka pro Wucha und in einem Johr…“, meine Freundin betippt den Handy-Taschenrechner, „… und in einem Johr sind das fascht 6‘000 Franka.

Meine letzte Zigarette verglühte vor genau einem halben Jahr. Auf meinem Konto stelle ich seither jedoch keine aussergewöhnlichen Zahlungsströme fest. Auch Mama versuchte mich einst mit Geld zu locken. „1000sig Franka, wenn hörsch raucha“. Damals war ich knapp zwanzig Jahre alt. Nie habe ich vor Mama geraucht. Sie sagte mir, es tue ihr weh, ihr Kind rauchen zu sehen.

Als nichtrauchendes Kind sah ich, wie alle rauchten. Im Fernsehen, im Flugzeug, im Restaurant, im Zug. Heute hat der Lungenzug ausgedient, das Raucherabteil ist abgehängt, die ganze Welt hat sich geirrt.

Akupunktur, Nikotinpflaster, der Schlaganfall der kettenrauchenden Grosstante. Nichts half. Ich rauchte immer. Parisienne war in mir drin. Und Winston. Nie Camel. Die Zigarette davor, die Zigarette danach, die Zigarette zwischendurch. Inhalierter Trost, verdampfte Langeweile, Glück aus Glut. Jetzt ist alles Schall und Rauch.

Ich gehöre nicht mehr zum Club. Keine gemeinsam verrauchte Arbeitszeit mehr, während der wir meistens über die Arbeit sprachen. Noch einmal stehe ich mit meinen qualmenden Arbeitskollegen im Abseits, beim Hintereingang rund um den Aschenbecher. Wie ich es geschafft habe, wollen sie wissen. Medikamente während einer Ferienreise, erwidere ich. Die Tour hat mich abgelenkt, die Medis besorgten den Rest. Warum ich aufhörte, kann ich mir selbst nicht erklären.

Den kleinen entflammbaren Tod habe ich als Raucher nie gefürchtet. Die gesellschaftliche Ächtung war mir gleichgültig. Die auf die Zigarettenpackungen gedruckten Schockbilder sind ein farbiger Witz.

Heute schmeckt das Essen anders, die ganze Welt riecht besser. Keine dicke Luft mehr und doch liebe ich den Zigarettenduft. „Blos miar is Gsicht“, bat ich meine Freundin kürzlich am Küchentisch. Sie ist Gelegenheitsraucherin. Während ich nie eine Gelegenheit ausliess, kann sie auf einer Party ein ganzes Päckli wegschloten. Danach lebt sie wochenlang tabakfrei. Zwei Menschen, eine Substanz, ungleich verteilte Abhängigkeit.

Ein Zug Glückseligkeit nach dem Aufstehen, dem Essen, dem Kaffee. Ich vermisse meine Sucht. Und doch möchte ich nie mehr rauchen. Nur noch einmal. Nirgendwann. 

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