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In Dänemark liegt 
der Chef mit im Bett

Der dänische Energiekonzern Dong sorgt sich rührend um seine Mitarbeiter. Zunächst wurde Sport eingeführt, dann ging es um Essgewohnheiten. Um Mitarbeiter produktiver zu machen, wird nun der Schlaf über eine App überwacht. Und es gibt Einschlafkurse.

Südostschweiz
13.07.16 - 08:00 Uhr

von André Anwar

In Skandinavien trimmen Firmen ihre Mitarbeiter immer mehr auf Gesundheit. Seit der dänische Energiekonzern Dong den Schlaf seiner Mitarbeiter über eine App verbessern will, um sie «harmonischer und produktiver» zu machen, diskutiert das Land, wie weit sich Chefs ins Leben der Mitarbeiter einmischen sollten.

Gesund sein ist alles

Es begann mit dem kumpelhaften Du, der Mitarbeitern die Einforderung von Rechten erschwert, weil Arbeitsplatzbeziehungen als privat empfunden werden. Dann kam die Fussballmannschaft im Konzern, bei der informelle Freundschaften geschmiedet werden. Die obligatorische Mitgliedschaft im Fitnessstudio folgte. Zuletzt kamen Kurse zur gesünderen Ernährung, deren Befolgung täglich in der gemeinsamen Mittagspause bewiesen wird.

Mitarbeiter sollen gesünder gemacht werden. Das erhöht die individuelle Leistungsfähigkeit und senkt die Krankentage. Seit der dänische Energiekonzern Dong auch den Schlaf seiner Mitarbeiter über eine App verbessern will, diskutiert das Land jedoch, ob seine Chefs zu weit ins Privatleben der Mitarbeiter eindringen.

Schlafexperte aus USA geholt

Bereits im vergangenen Jahr lud der Energiekonzern den bekannten US-Schlafexperten Michael Breus ein, um Mitarbeitern zu wohligerem Schlaf zu verhelfen. In einem umfangreichen Infoblatt der Firma mit dem Titel «Schläfst du gut?» wird darüber informiert, dass eine halbe Stunde weniger Schlaf als gewöhnlich die Konzentration im Beruf um 32 Prozent senken kann.

Breus hielt Schlafkurse für die Dong-Mitarbeiter ab. Zusätzlich wurde eine Schlaf-App eingeführt, mit der die Schlafqualität überwacht wird. «Der Chef schläft neben dir», unkten einige Dänen. Laut Dong waren die Mitarbeiter begeistert. «Eine meiner neuen Lebensregeln ist, dass ich jeden Tag spätestens um 22.30 Uhr zu Bett gehe. Ich habe gemerkt, dass mir das mehr Energie im Alltag gibt», frohlockt Seniormanager Kasper Kjöller Lou. Es sei eine «Win-Win-Situation», von der Firma und Mitarbeiter gleichermassen profitierten.

Zwang zum freiwilligen Mitmachen

Doch was ist mit den Mitarbeitern, die nicht lernen wollen, wie man besser schläft? «Die Arrangements und Initiativen sind freiwillig und ein Angebot an all die, die gerne lernen wollen, wie man seine Schlafqualität verbessert», betont Dong-Personalchef Hanne Blume. Doch dänische Zeitungen fragen sich, inwieweit Mitarbeiter sich nicht dem Gruppendruck fügen müssen, Freiwilligkeit hin oder her.

Das betrifft auch viele andere Unternehmen in Skandinavien. «Bei uns in der Firma sind alle im gleichen Alter, schlank, gehen joggen und ins Fitnessstudio. Alle nehmen an den regelmässigen Strassenmarathons teil, und dokumentieren ihren Eifer in Facebook-Einträgen und Instagram-Fotos. Wer da nicht mitmacht, wird sich nicht lange in der Firma halten. Homogenität ist ein Muss», bezeugt die 32-jährige Anna, die im mittleren Management einer Firma mit Sitz im repräsentativen Stockholmer Stadtteil Östermalm arbeitet. Auch Mitarbeiter kleinerer Unternehmen berichten Ähnliches.

Vater Konzern neben Vater Staat

Mit Skandinaviens gläsernen Bürgern, die es gewöhnt sind, dass ihre Einkommensverhältnisse öffentlich sind und der Wohlfahrtsstaat Einsicht in fast das gesamte Privatleben nimmt, haben auch Unternehmen ein leichteres Spiel: der Konzern als Vater, neben Vater Staat.

Skandinavische Unternehmen dringen immer tiefer in das Privatleben ihrer Mitarbeiter ein, meint denn auch Anders Drejer, Managementforscher der Universität Aalborg. «Das Arbeitsleben wird auf diese Weise zum Lebensprojekt. Die Arbeit wird in jeden Lebensaspekt integriert», sagt er der Zeitung «Kristeligt Dagblad». Es sei schwer, noch einen Ort zu finden, in dem man nicht an die Arbeit denke. Das könne auch zusätzlichen Stress bedeuten und damit kontraproduktiv wirken, warnt er.

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