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Schönheit und Grauen in Zuoz

Die Winterausstellung in der Zuozer Galerie Tschudi ist zwei Künstlern gewidmet. Callum Innes zeigt in der Galerie entstandene Wandbilder, Julian Charrière thematisiert die Atomversuche auf dem Bikiniatoll. 

Südostschweiz
24.12.16 - 11:33 Uhr
Kultur

von Marina U. Fuchs

Die Galerie Tschudi in Zuoz präsentiert in diesem Winter mit zwei Einzelausstellungen einen neuen Höhepunkt ihrer Tätigkeit, obwohl es fast jedes Mal so aussieht, als sei eine Steigerung kaum mehr denkbar. Zwei gegensätzliche Künstler, die nichts zu verbinden scheint, faszinieren jeder auf seine Art. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass Julian Charrière und Callum Innes auf ganz unterschiedliche Weise das Phänomen Zeit, Vergänglichkeit und Veränderung beschäftigt.

Subtiles Erforschen

Julian Charrière bestreitet mit der Werkgruppe «First Light» die erste Einzelausstellung in der Galerie. Der Schwerpunkt liegt auf neuen Arbeiten, die er speziell für diese Ausstellung auf einer einmonatigen Südsee-Expedition geschaffen hat. Charrière forschte dort über die verheerendsten Explosionen in der Geschichte der Menschheit: Zwischen 1946 und 1958 wurden auf dem Bikiniatoll im Pazifischen Ozean Bomben mit einer Spaltausbeute von 42,2 Megatonnen zur Detonation gebracht. 

Nach Kasachstan beschäftigt sich Charrière hier zum zweiten Mal mit radioaktiven Schauplätzen. «First Light»  spürt den spannungsreichen Wechselwirkungen zwischen industrieller Moderne und Geografie nach. Charrière zeigt Fotoprints, die das typische Inselambiente abbilden, doch hat er während des Entwicklungsprozesses Sand aus atomar verseuchten Zonen auf die Negative aufgetragen und so für einen verblüffenden und verstörenden Verfremdungseffekt gesorgt. 

Seine spannungsreiche und subtile Videoarbeit «Iroojrilik» bietet erstmals einen Blick auf Schiffswracks am Meeresgrund vor Bikini und die Bunker, aus denen die Explosionen gezündet beziehungsweise gefilmt wurden. Verstärkt durch die begleitenden Töne und die spezielle Schnittfolge, entsteht eine atemberaubende Erfahrung zwischen Faszination, Schönheit und Grauen. Mit der Skulptur «Pacific Fiction» hat der Künstler einen Beitrag für eine mögliche zukünftige Gedenkstätte geschaffen. 

Charrière wurde 1987 in Morges am Genfersee geboren. Er lebt und arbeitet in Berlin und studierte bei Valentin Carron, Christine Möbius und Olafur Eliasson. Er kann bereits auf zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen zurückblicken und wurde in diesem Jahr – nach dem Manor Kunstpreis 2014 – mit dem Kaiserring Stipendium für junge Kunst geehrt. Bereits mit 26 Jahren hatte er im Lausanner Musée des Beaux-Arts seine erste Einzelausstellung. Charrières Arbeiten sind archaisch, poetisch, meditativ und geheimnisvoll. Sie stehen für Suche und Erinnerung, reflektieren Raum und Zeit, erschliessen sich nicht auf den ersten Blick, hinterlassen aber nachhallende Eindrücke.

Die Farbe im Zentrum

Der Schotte Callum Innes zeigt unter dem Titel «On Ground» kürzlich entstandene Arbeiten. Der Höhepunkt sind drei in der Galerie geschaffene Wandbilder. Der 54-jährige Innes lebt und arbeitet in Edinburgh. Seine Werke sind im Kunsthaus Zürich, der Londoner Tate Gallery, dem Guggenheim Museum und vielen anderen bedeutenden Sammlungen vertreten. 

Farbe ist das wichtigste Element in seinem Werk. Das Wechselspiel zwischen Hinzufügen und Wegnehmen, zwischen Aufbau und Auflösen, Anwesenheit und Abwesenheit prägt seine Arbeiten. Die Farben, die mit Öl auf Leinwand, Pastell auf Papier oder direkt auf eine Wand aufgebracht werden, treten in Erscheinung und verschwinden wieder, werden mit einem in Terpentin getauchten Pinsel weitgehend entfernt. 

So entstehen Momentaufnahmen, die sich nur über die Sinne erspüren lassen. Die neuen Wandbilder sind in ihren Farben an die Umgebung angepasst. Auf der polierten Gipsoberfläche scheint Gelb durch eine violette Oberfläche, lässt sich Orange unter Schwarz erahnen, das an die verrussten Küchendecken früherer Tage erinnern soll.

Julian Charrière, Callum Innes: Bis 18. März. Galerie Tschudi, Zuoz. www.galerie-tschudi.ch.

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