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Zilla Leutenegger: 
«Es ist wie im Fussball»

Heute erhält Zilla Leutenegger in Chur den renommierten BEWE-Preis. 
Die Auszeichnung ist ein weiterer Baustein in ihrer Künstlerkarriere.

Südostschweiz
28.09.16 - 15:30 Uhr
Kultur

von Mathias Balzer

Zilla Leutenegger hat es streng. Sie sei gleich da, sagt sie am Handy. Sie steckt an diesem Montagnachmittag im Tram auf dem Weg ins Atelier. Die Künstlerin kommt gerade von der ETH, wo sie Studenten im freien Zeichnen unterrichtet, ein 40-Prozent-Job.

Ihr Atelier liegt an der Wuhrstrasse 10; eine legendäre Adresse in der Zürcher Kunstszene. Vor rund 60 Jahren wurde das Atelierhaus als Genossenschaftsbau vom Architekten Ernst 
Gisel erstellt. Zu einer Zeit, als es kaum Künstlerräume in der Stadt gab. Bereits die Belegschaftsliste der ersten Generation liest sich wie ein Who-Is-Who derKunstszene in den Fünfziger- und Sechszigerjahre an der Limmat: Otto Müller, Carlotta Stocker, Otto Teucher, Silvio Mattioli ...

Am Mittwoch erhält Leutenegger in ihrer Heimatstadt Chur den Preis der BEWE-Stiftung (siehe Kasten). Das ist aber nur eine von insgesamt acht Veranstaltungen, welche die Zeichnerin und Videokünstlerin diesen September zu bewältigen hat. «Es ist nicht immer planbar», sagt sie lakonisch.

Sie hat diesen Monat Einzelausstellungen in der Galerie Stampa in Basel und im Musée Jenisch in Vevey eröffnet. Openings von Gruppenausstellungen gab es im Haus der Kunst in Uri und in der Londoner Galerie The Agency. Für die Kulturregion Stuttgart hat sie eine Arbeit im öffentlichen Raum platziert. Im renommierten Museum Voorlinden im holländischen Wassenaar, konnte sie zwei feste Arbeiten installieren. Im Pflege- und Altersheim Casa Falveng in Domat/Ems wird Ende Monat eine speziell für den Ort geschaffene Arbeit von ihr eingeweiht.

2015 in der Münchner Pinakothek

Die 48-jährige Künstlerin lebt mit ihrem Partner, dem Autor Max Küng und zwei Söhnen, sechs- und zehnjährig, in Zürich. Künstlerin, Dozentin, Mutter, Partnerin – die Agenda ist gut gefüllt, zumal die Anfragen zunehmen. Die grosse Einzelausstellung «Ring My Bell» in der Münchner Pinakothek der Moderne letztes Jahr habe viel ausgelöst. «Ich hab mich riesig über die Anfrage gefreut», erzählt Leutenegger. Und im Nachhinein sei sie auch etwas stolz darauf, das Ding gestemmt zu haben: 400 Quadratmeter Soloshow an einem solch renommierten Ort. «Das ist schon eine Herausforderung. Es ist wie im Fussball: Man muss gut sein, um sich in dieser Liga zu halten.» Und es geht auch nicht mehr alles alleine.

Helfer habe sie zwar immer schon gehabt, vor allem für die aufwendigen Videoinstallationen. Nun aber stellt sie erstmals einen persönlichen Assistenten mit festem Lohn an. Die Künstlerin als Unternehmerin. Bleibt da noch Zeit   für die Musen? «Muse hab ich schon noch; was fehlt ist die Langeweile», sagt die Künstlerin. Das sei schade, denn die Langeweile sei nämlich derjenige Zustand, in welchem die guten Ideen gedeihen.

Das Spiel mit dem Licht

Dass der Preis der BEWE Stiftung in Chur verliehen wird, ist stimmig. Leutenegger ist hier aufgewachsen und sie durfte als erste Künstlerin das «Labor» im Neubau des Bündner Kunstmuseums bespielen. In der Installation «Tintarella di luna» zeigt die Künstlerin grossformatige Drucke, die das nächtliche Interieur einer Wohnung zeigen. Von Zeit zu Zeit schickt ein Beamer eine Lichtspur über die melancholischen Bilder, als ob draussen ein Auto in Zeitlupe vorbeifährt.

«Bei den Bildern interessierte mich, wie das Licht in diese nächtliche Interieurs kommt», erklärt Leutenegger. Dieses einfallende Licht korrespondiere wiederum mit dem Labor im Kunstmuseum. Es ist der einzige Ausstelungsraum im Neubau, in den Tageslicht fällt.

Eben doch eine Künstlerin

Die Carte Blanche, die sie für das Labor erhielt, wurde für Leutenegger Anlass zur Retrospektive. «Die Einladung nach Chur, war für mich Auslöser, um auf mein bisheriges Werk zurückzublicken». Erst habe sie eine Ausstellung mit Werken von Künstlern geplant, die sie geprägt hätten: Tracey Emin, Blinky Palermo oder David Weiss.

Die Planung der Ausstellung sei bereits ziemlich weit fortgeschritten gewesen, als Leutenegger sich anders entschied. Eines morgens habe sie den Direktor des Museums, Stephan Kunz, angerufen: «Ich mache eine Spitzkehre. Ich werde doch eigene Arbeiten ausstellen.» Sie habe gemerkt, dass sie eben doch keine Kuratorin, sondern Künstlerin sei.

«Ich hab begriffen: Ich bin eine Macherin. Ich will diesen Raum selbst gestalten. Ich merkte, dass es nicht darum ging, den Leuten zu erklären, wie sich meine Arbeit entwickelt hat. Es reicht, wenn ich es selbst begriffen habe. Es geht ja darum, dass wir weiterkommen, nicht stehen bleiben, uns die Unruhe bewahren.» Sagt es und radelt die Wuhrstrasse runter. Die Kinder warten.

Preisverleihung und Buchvernissage

Am Mittwoch, 28. September, erhält Zilla Leutenegger um 18 Uhr im Bündner Kunstmuseum in Chur den mit 30'000 Franken dotierten Kunstpreis 2016 der in Liestal ansässigen BEWE-Stiftung. Zudem wird der neue Katalog zu Leuteneggers Ausstellung «Tintarella di luna» präsentiert. (bal)

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