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Episode 2: Weltuntergang

Auch in zweihundert Jahren sind in den Bergen Menschen unterwegs. Allgegenwärtige Drohnen zeichnen ihre Gesprächsinhalte auf – beispielsweise solche über den Weltuntergang.

Südostschweiz
29.07.16 - 11:07 Uhr
Kultur

von Maria Ursprung*

Drohnenprotokoll Alpin Allies:

11:52 h Kontrollflug oberhalb Baumgrenze.

46°38’59» N 9°21’14» E, Kurs 121° S, 15 mph. 1814 MüM

METEO: 5 ° C, leichte Bewölkung, Wind aus SW. Bft. 1.

TOPOS: Steinweg. Geröll. Hoher Wassergehalt im Boden.

ATMOSPHERE. Sauerstoffgehalt 21%. Luftdruck 800 mbar.

11:53 h Auffallend viele Insekten bewegen sich Richtung Gipfel.

FAUNA-SCAN: Kahlrückige Waldameisen/ Kiesbankhüpfer/ Radnetzspinnen/

OBJEKT VERDACHT!!!

3 MannObjekte (Alter: 34-56-73) / 2 FrauObjekte (Alter: 43-39)

Marschroute in hohem Risikobereich: Starke Steigung (41%) / Fusstempo (2 km/h) / Schmaler Berggrat (0.5 m). Gruppe mit Seilen gesichert.

12:55 = Grupp: MannObjekt 1 (73) als Anführer identifiziert. Spracherkennung aktiviert.

13:14 = Grupp: MannObjekt 1 (73) Spracherkennung erfasst Inhalt: Objekt spricht über abstrakte Themen. Angst vor dem Tod. Irrsinn. Weltuntergang. Sprachmuster wird analysiert.

*Maria Ursprung: geboren und aufgewachsen in Solothurn, ist Theaterregisseurin und schreibt.

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 von Flurin Jecker*  

Ich habe ja früher. Auch immer geglaubt. Dass wir Menschen. Alles zerstören werden», sagt Thomas und keucht und schnauft und schnoddert, dass ihm das Sprechen schwerfällt. «Alles. Eines Tages. Und nichts mehr davon übrig bleiben wird. Von dem was wir Menschen geschaffen haben. Über Jahrtausende. Und vor uns geschaffen wurde. Evolutionär. Über Millionen und Abermillionen von Jahren. Das habe ich auch immer geglaubt. Aber das ist Bullshit. Weiss ich jetzt», sagt Thomas und hustet.

«Das ist Quark. Das zu denken. Schon der Gedanke allein ist idiotisch. Aber noch zu glauben. Dass dieser Gedanke wahr sein könnte. Dass nur schon die Möglichkeit. An ein Zutreffen dieses Gedankens. Bestehen könnte. Ist endgültig nichts mehr als Quark.»

Die anderen schweigen. Manchmal hört man ein Stolpern oder Ähnliches. «Ich kanns nicht anders sagen», sagt Thomas. «Aber zu denken. Wir Menschen. Die wir ja alles geschaffen haben. Was ja als Prämisse schon zum Lachen genug ist. Würden es nun auch noch schaffen. Alles zu zerstören. Ist Mumpitz», sagt Thomas. «Und Mumpitz. Ist sogar noch untertrieben. Weil ich keinen vergleichbaren Mumpitz kenne. Wie diesen Mumpitz. Der von allen hier die ganze Zeit gedacht und ausgesprochen wird.»

Alle schweigen und Thomas bekommt einen Lachanfall, der in einen Hustenanfall übergeht. «Ihr glaubt. Wenn der Mensch es schafft. Einen ein Kilometer hohen Turm zu bauen. Muss er es auch schaffen. Den Himmel zu verdunkeln. Und die Berge zum Einsturz zu bringen. Die Welt untergehen zu lassen. Aber das ist falsch. So wie wir Menschen. Anerkennen mussten. Dass wir als erbärmlicher Satellit. Um die Sonne kreisen. Dass unsere Eltern Affen sind. Und unser Bewusstsein eine Marionette ist. Müssen wir jetzt anerkennen. Dass wir es nie schaffen werden. Die Erde zum Untergang zu bringen. Hört ihr mir überhaupt zu?»

Alle schweigen. «Der Denkfehler des Menschen. Ist schon immer gewesen. Zu denken, dass alles an ihm hängt. Das ganze Universum. Aber weil er. Oder sein Unterbewusstes. Gemerkt hat, dass das falsch ist. Macht er. Statt die Welt untergehen zu lassen. Sie zur Hölle für alle anderen. Für die Köter auf den Strassen. Die Bäume im Park. Die Arbeiter. Damit die Illusion. Dass nicht mehr viel fehlt, bis die Welt keine mehr ist. Aufrechterhalten wird.»

Langes Schweigen, das Thomas gewähren lässt. «Das Beste. Auf das wir Menschen. hoffen können. Ist. Dass wir die Welt. Für uns und die uns wichtig scheinenden Lebewesen. Eines Tages so sehr zerstört haben werden. Dass wenn wir sie retten würden. Wir denken könnten, wir hätten die Welt gerettet. Dann wären wir Menschen. Und die armen Köter auf der Strasse. Am Ende tatsächlich durch den Menschen. gerettet worden. Dann könnten wir Menschen. Immerhin. Das Gefühl haben. Dass die Welt. Ohne uns untergegangen wäre. Darauf ist zu hoffen.»  

* Flurin Jecker: geboren 1990 in Bern, arbeitet nebenher als freier Journalist für den «Bund» und als Velokurier.

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Ein Episodenroman

Zum Jubiläum des zehnjährigen Bestehens des Schweizerischen Literaturinstituts in Biel schreiben zehn Studierende exklusiv für die «Südostschweiz» eine 24-teilige Fortsetzungsgeschichte mit dem Titel «Die Alpen im Jahr 2216». 

Seit seiner Gründung hat das Literaturinstitut, das zur Hochschule der Künste Bern HKB gehört, über hundert Absolventen des Bachelorstudiengangs «Literarisches Schreiben» hervorgebracht, darunter erfolgreiche junge Autoren wie Arno Camenisch, Silvia Tschui oder Michael Fehr. Als Dozent von Anfang an dabei ist der Bündner Autor Silvio Huonder, der auch diese Reihe betreut.

Alle anderen Teile findet man unter www.suedostschweiz.ch/alpen2216

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