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Vom Zauderer zum Zauberer

Das schönste EM-Tor geht bislang auf das Konto von Xherdan Shaqiri, die schönste Vorlage lieferte derweil Eden Hazard ab. Belgiens "Superdribbler" hat eine erstaunliche Wandlung hinter sich.

Südostschweiz
28.06.16 - 10:25 Uhr
Fussball

Wie Hazard beim 4:0-Sieg gegen Ungarn vor dem zweiten belgischen Treffer von Michy Batshuayi den Ball mit dem rechten Aussenrist am Gegenspieler vorbeilegte, aus dem Stand lossprintete und mit links ins Zentrum flankte, war schlicht Weltklasse. "Das war an Raffinesse nicht zu überbieten", schrieb der "Spiegel" entzückt.

Hazard spielte im Achtelfinal auf dem Level, das man von ihm aus der vorletzten Premier-League-Saison gewohnt war. "Wenn er sich gut fühlt, ist er der Beste der Welt", sagte Goalie Thibaut Courtois am Sonntag über seinen Teamkollegen. Er muss es wissen. Seit zwei Jahren sieht der Keeper den Flügelspieler, der 2014/15 nach dem Meistertitel zum besten Spieler der Premier League gewählt worden ist, jeden Tag im Training bei Chelsea und auch regelmässig bei der Nationalmannschaft.

In der letzten Saison, vor allem in den ersten sechs, sieben Monaten, fühlte sich Hazard bei Chelsea nicht sehr wohl. Unter José Mourinho durchlebte er mit den "Blues" die schwierigste Zeit seiner Karriere. Unter anderem auch darum, weil der Portugiese ihm die Fähigkeit absprach, ein Spieler zu sein, der sich für andere aufopfere. Ins gleiche Horn stiess neulich auch der ehemalige belgische Goalie Jean-Marie Pfaff. Hazard dribble zu viel. "Er spielt für sich, nicht für das Team", kritisierte Pfaff. Er wird seine Meinung nach dem 4:0 gegen Ungarn revidiert haben.

Fakt ist, dass Hazard in dieser Saison durchaus anfällig war. Der beispiellose Absturz mit Chelsea machte auch dem sensiblen Spieler zu schaffen. "Fünf oder sechs Jahre lang war ich immer in Topform, das war die erste Saison, in der es komplizierter war", erklärte Hazard. Er habe stets nur Höhen gekannt, nun sollte es eben anders sein. Unter Mourinhos Nachfolger Guus Hiddink fand Hazard wieder in die Spur. Nach überwundenen Hüftproblemen im März erzielte er in den letzten fünf Spielen alle vier Saisontore.

Das hat mit wiedergefundenem Vertrauen zu tun, in die eigenen Fähigkeiten, in die ungemein schnellen Beine und in die oftmals unwiderstehlichen Dribblings. Und: Trainer Marc Wilmots hält zu Hazard. Nach der verletzungsbedingten Absage von Vincent Kompany übertrug er ihm das Amt des Captains und stützte den oft Gescholtenen dergestalt demonstrativ. "Das mag viele Leute erstaunt haben", sagte Wilmots über den 1,73 m grossen Hazard. "Aber man lässt einen Spieler wachsen, wenn man ihm Verantwortung überträgt."

Die belgische Nachrichtenagentur Belga betrachtete Hazards Leistung gegen Ungarn als die beste, seit er im November 2008 als 17-Jähriger gegen Luxemburg das erste von nunmehr 69 Länderspielen absolviert hat. Auch Trainer Wilmots lobte den jüngsten Captain aller EM-Teams nach dessen Gala-Auftritt im Achtelfinal. "Ein Captain muss nicht immer den Mund aufmachen. Manchmal genügt es, Taten sprechen zu lassen. Ich denke, das haben seine Füsse erledigt."

Heimspiel und Hamburger

Nun steht für Hazard in Lille, rund 12 Kilometer von der belgischen Grenze entfernt, quasi ein doppeltes Heimspiel im Programm. Dorthin, wo am Freitag der Viertelfinal gegen Wales stattfindet, hatte der bereits vierfache Skorer des EM-Turniers (ein Tor/drei Assists) vor elf Jahren als Junior gewechselt. Im November 2007 debütierte er in der Ligue 1, dreieinhalb Saisons später war er deren bester Spieler, Meister und Cupsieger. Ein weiteres Jahr darauf holte ihn Chelsea. "Ich habe Lille wie ein Boss verlassen. Wenn ich Chelsea eines Tages verlasse, dann will ich ebenfalls wie ein Boss gehen", sagte Hazard neulich zu angeblichen Wechselabsichten.

Er hat gelernt zu beissen. Nicht nur in Hamburger, wie er das im Juni 2011, angesäuert wegen seiner Auswechslung in der EM-Qualifikation gegen die Türkei, während des noch laufenden Spiels vor dem Stadion in Brüssel getan hatte. Intern geäusserte Kritik von Trainer Wilmots empfindet er nicht mehr als persönliche Beleidigung, sondern als Motivation. Oftmals folgten darauf Leistungen wie gegen Ungarn. Solche Auftritte lassen Belgien träumen. "Dieser Eden kann uns ins Paradies führen", titelte eine Zeitung.

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