×

Nach neun Jahren sind wir alle gescheiter!

Hans Peter
Danuser
14.03.17 - 11:11 Uhr
Bild Yanik Bürkli
Bild Yanik Bürkli

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

Von Hans Peter Danuser

 

Seit 1. Januar 2008 hat St. Moritz gut 33 Prozent Logiernächte (LN) verloren. Dabei lautete der Auftrag des Kreisrats an die neue Tourismusorganisation (TO) jährlich plus zwei Prozent in der Hotellerie und plus fünf Prozent in der Parahotelliere zuzulegen. Aus dem angepeilten Plus von 20 bis 30 Prozent ist ein Minus von einem Drittel eingetreten – ein Albtraum für viele Betriebe.

 

Es ist Zeit, über die Bücher zu gehen und allenfalls einige Weichen anders zu stellen.

 

Vorwürfe an die Verantwortlichen bringen nichts. Alle haben sie ohne Zweifel nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet. Weil aber Mitbewerber wie Zermatt, Gstaad und Engelberg seit Beginn 2008 viel weniger Logiernächte verloren haben, kann unser hohes Minus nicht nur am starken Franken und der Umnutzung von Hotels liegen, die in St. Moritz zum grossen Teil schon vor der Finanzkrise erfolgte. Dabei haben die Oberengadiner Gemeinden zusammen noch nie so viel Geld für Tourismus aufgewendet wie in den vergangenen neun Jahren.

 

Ich beschränke meinen Bemerkungen auf Marke und Markenführung, weil ich davon am meisten verstehe und das Thema bei meiner Dozententätigkeit an der HSG und ETH über viele Jahre vertieft und reflektiert habe. Nach gut 40 Jahren Praxis mit internationalen Markenprofis für Nestlé, St. Moritz und der Deutschen Bank beobachte ich bei der regionalen Markenführung im Oberengadin der letzten Jahre drei eigentliche Todsünden, die möglichst bald korrigiert und durch professionelle Markenstrategien zu ersetzen sind, wie sie uns die Privatwirtschaft seit Jahrzehnten vorexerziert:

 

1. Keine Doppelmarken!

«Engadin St. Moritz» ist eine Doppelmarke, die beide Teilmarken verwässert und schwächt. Das ist insbesondere bei der Weltmarke «St. Moritz» fatal, die im Wettbewerb mit starken Einzelmarken steht: Zermatt, Gstaad, Kitzbühl, … die sich nie eine schwächere Regionalmarke voranstellen lassen würden. Und es wird auch nie Doppelmarken wie Mini-BMW, VW-Porsche oder Swatch-Omega geben, weil die aufgeführten Einzelmarken für ganz andere Werte und Welten stehen, mit messerscharfem Profil, ohne das eine Marke im heutigen Verdrängungsmarkt rasch verliert. 

 

 

Als «völlig dilettantisch» bezeichnet ein sehr erfolgreicher und bekannter Schweizer Unternehmer und Politiker die «Engadin St. Moritz»-Doppelmarke, ein treuer Stammgast, den die aktuelle Strategie stark irritiert. Ein Basler Gast verweist auf die zwingende Komprimierung der ursprünglichen Doppelmarke «Hofmann La Roche» auf «Roche»: Je kürzer, prägnanter und klarer, umso stärker die Marke! Lindt ist ein weiteres Beispiel dafür (statt Lindt & Sprüngli) – eine der aktuell erfolgreichsten und bestgeführten Schweizer Marken.

 

Mein Vorschlag:

 

Ein klar definiertes regionales Markenportfolio mit den zwei eigenständigen Dachmarken St. Moritz und Engadin, denen die regionalen Einzelmarken je nach Reichweite und Positionierung zugeteilt werden:

 

St. Moritz:

 

  • globale Bekanntheit
  • extravagant, teuer
  • eher Winter
  • Top of the world-Positionierung
  • Luxus und hochwertige Hotellerie
  • Exklusives Shopping
  • Zwei Olympische Winterspiele
  • Fünf FIS Alpine Ski-Weltmeisterschaften
  • White Turf und Polo on Snow
  • Cresta- und Bob Runs
  • Glacier- und Bernina-Express / Unesco-Welterbe-Label …

 

Engadin:

 

  • Bekanntheit: Schweiz und grenznahe Regionen D u. I
  • Natur, Kultur, Ruhe (UNESCO Welterbe Label)
  • eher Sommer
  • preiswert,
  • Pontresina, Sils, …
  • Ski- und Bike-Marathons
  • Schweizer Nationalpark …

 

Diese Marken werden von der TO je nach Reichweite/Markt, Saison und optimaler Wirkung virtuos eingesetzt. Es liegt klar im Interesse des ganzen Tals, dass die Marke St. Moritz global bekannt und begehrt bleibt, ein klares, einzigartiges Profil behält und wettbewerbsstark bleibt!

 

2. Eine starke Marke nie über den Preis verkaufen!

 

Perifere Marken wie Engadin oder Saas Fee können durchaus über den Preis verkauft werden, starke Marken nie! Zermatt oder die Jungfraubahn verkaufen nicht über den Preis, Rolex und Cartier schon gar nicht – weil sie ihren Preis wert sind und dieser ein Teil der Marke ist, der zu ihrer Glaubwürdigkeit gehört. Ausverkauf und Dumping sind Gift für starke Marken.

 

3. Straffe Markenführung und -kontrolle

 

Auch in der Schweiz gibt es Dinge, die basisdemokratisch nicht funktionieren: das Militär, Marketing und vor allem Markenführung. Diese muss professionell, straff und transparent sein – immer auch strategisch, das heisst langfristig ausgerichtet.

 

Aufgrund der aktuellen Verträge und Vereinbarungen liegt heute die präsidiale Kompetenz und Verantwortung für den Einsatz der Weltmarke St. Moritz bei einem Bergbahn-Mann mit Wohnsitz in Lenz. Wer kontrolliert diesen Einsatz und setzt allenfalls notwendige Korrekturen durch, falls Wert und Substanz der Marke St. Moritz klar gefährdet sind?

 

Eigentümer der Markenrechte ist der gute alte Kurverein St. Moritz. Daneben gibt es die Gemeindekommission St. Moritz Tourismus, die kürzlich die Strategie der Marke St. Moritz neu formulierte hat («Weg vom Cüpli-Image, dafür mehr Sport, Kultur, Natur!»)und öffentlich präzisiert, dass St. Moritz extravagant und hochklassig bleiben soll.

 

Wie will sie das aber konkret durchsetzen? Dass sie die Markenentwicklung nur lasch verfolgt, zeigen folgende Beispiele:

 

  • Auf die Frage «Wo würden Sie die Destination heute auf einer Skala von 1 bis 10 einreihen?» antwortet die aktuelle CEO: «Ich würde sagen, mit dem Potenzial, das wir haben, zwischen 8 und 9. Was wir bis heute erreicht haben, zwischen 6 und 7.» («Schweiz am Sonntag», 22. Januar 2017).

 

Das betrifft bei der Doppelmarke natürlich auch St. Moritz mit der Positionierung «Top of the world», was durch diese Antwort zum schlechten Witz wird. Ein klassisches Downgrading der stolzen Ortsmarke, das beispielhaft zeigt, wie sie fahrlässig zu Schaden kommt. Ob die Kommission hier interveniert hat?

 

  • St. Moritz feierte sein Wiegen-Jubiläum «150 Jahre Alpiner Wintertourismus» mit «einem Sänger aus Wuppertal!» (Stammgast Mateo Thun in der Engadiner Post). Die «Süddeutsche Zeitung» gibt Thun recht: «Die Musik von Xavier Naidoo ist objektiv jämmerlich» (8. Februar 2017). Hier muss die Kommission intervenieren. Zermatt setzt auf diesem Gebiet seit zehn Jahren den Tarif. Ein Blick auf die Stars bei «Zermatt unplugged» zeigt, was ich meine. Andernfalls macht sich St. Moritz lächerlich und unglaubwürdig – bei Stammgästen und potenziellen neuen Besuchern.

 

  • Das ganze Gejammer über die sogenannten «Zeitenwende» passt nicht zum Winner-Image von St. Moritz. Es gibt auch bei einer «vorübergehenden Formschwäche» von -33% überzeugend viel Positives über Ort und Tal zu berichten. Wer geht schon gerne in eine wehleidige «Problemzone» in die Ferien? Auch hier erwarte ich fortan Interventionen seitens St. Moritz.

 

Eine Ortsmarke ist mehr als nur der Name einer Gemeinde. Sie ist immer auch ein Versprechen an den Gast. Hält der Ort das Versprechen auf Dauer, gewinnt der Ort an Vertrauen und erhält ein gutes Image. Eine Marke wirkt aber immer auch nach innen. Sie schafft Identität, Spirit und Ambiente bei der lokalen Bevölkerung, wie wir es bei der grossartigen Ski-WM diesen Winter beispielhaft erlebt haben. Diese ist jetzt aber vorbei. Nun gilt es, die Ortsmarke für die Zeit nach der WM mit allen Regeln der Kunst zu stärken und zu schärfen!

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.