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Wenn Frauen an der Nadel hängen – eine ziemlich verstrickte Zugfahrt

34 Frauen fuhren am internationalen Stricktag mit ihren Handarbeiten mit der Bahn rings um den Säntis. Im Zug wurde aber nicht nur fleissig gestrickt und gehäkelt, sondern auch viel gelacht und gefachsimpelt.

Südostschweiz
13.06.17 - 05:30 Uhr
Leben & Freizeit
Fröhliche  Runde: Mitorganisatorin  Regula Mächler (oben rechts)  stösst mit den Strickerinnen an –  die Damen stricken und häkeln  mit Begeisterung, während vor den Fenstern des Strickzugs die  Landschaft vorbeifliegt.
Fröhliche Runde: Mitorganisatorin Regula Mächler (oben rechts) stösst mit den Strickerinnen an – die Damen stricken und häkeln mit Begeisterung, während vor den Fenstern des Strickzugs die Landschaft vorbeifliegt.

Um 10.15 Uhr fährt die S4 im Bahnhof Uznach ein. An zwei Wagenfenstern kleben Zettel. «Strickzug» ist darauf zu lesen. Eine Gruppe von Frauen mit bunten Taschen steigt ein und wird von Regula Mächler vom Kaltbrunner Strickatelier Wullix herzlich begrüsst. Schnell finden die Damen einen Sitzplatz zwischen weiteren Frauen, die in ihre Handarbeiten vertieft sind. Die S4 fährt los und schon klappern weitere Strick- und Häkelnadeln im Zug.

Schönste Handarbeiten in allen Farben und Formen sind am Entstehen. Ob für sich, die Kinder, Enkel oder ganz Fremde – das spielt den fleissigen Frauen keine Rolle. Hauptsache, Handarbeiten, etwas Sinnvolles gestalten und Ruhe finden. «Für mich ist das wie meditieren. Da kann ich mich völlig entspannen», sagt eine Frau im hellblauen Strickpullover, mit passender Strickjacke. Alles selbst gestrickt natürlich.

Vor dem Fenster zieht die Linthebene vorbei, der nächste Halt steht bevor und schon steigen in Ziegelbrücke weitere Frauen mit Stricknadeln ein. Dank der Plakate an den Fenstern finden auch sie die Strickrunde sofort und packen ihre Handarbeiten aus. Nun sind alle beisammen. 34 Frauen, ein Mann und zwei Jugendliche fahren mit. Die beiden Jugendlichen jedoch ohne Strickzeug, lediglich als Begleitung der Mutter. Und die Hoffnung, einen strickenden Mann anzutreffen, verfliegt schnell. «Nein, ich begleite einfach meine Frau und geniesse die tolle Rundfahrt», erklärt der einzige Mann in der Runde.

Modische Accessoires

Die Idee des Strickzuges hatten die beiden Atelierbesitzerinnen Erika Müller aus Rorschach und Regula Mächler aus Kaltbrunn bereits vor einem Jahr. Müller führte in den vorangegangenen Jahren Anlässe zum Stricktag durch. Mehrmals strickte sie in der Badi für einen guten Zweck. Im Laufe der Zeit kamen aber immer weniger Frauen und so ist sie froh, nun diese neue Idee umgesetzt zu haben.

«Der Rundzug bringt dem ganzen Stricktag eine völlig neue Möglichkeit», sagt Müller. So stiegen die ersten Frauen morgens um 9 Uhr in Rorschach ein – und wenn sie genug hatten, verliessen sie den Zug nach der ersten Runde um 12 Uhr, wieder in Rorschach. Dazwischen liegen unzählige Kilometer mit wunderschönen Landschaften und natürlich vielen Metern verarbeiteter Wolle oder Garn.

Der Boom, den das Handarbeiten wieder erlangt hat, bringt es mit sich, dass auch jüngere Teilnehmerinnen im Strickzug mitfahren. Eine junge Frau aus dem Zürcher Oberland häkelt im Zug eine Decke und erzählt, wie sie im Internet Plattformen nutzt, um Muster zu suchen, knifflige Fragen erklärt erhält oder sich einfach mit anderen Handarbeits-Freaks austauscht.

Eine andere Dame häkelt Trösterli. «Das sind Bärchen und viele andere liebevolle Figuren, die verunfallten Kindern in Kinderarzt-Praxen, Spitalautos oder bei der Polizei Trost bringen.» Eine weite Anreise nahm eine Dame aus Deutschland in Kauf. Sie reiste über eine Stunde an, um in St. Margrethen den Strickzug zu besteigen. «Via Internet bin ich auf dieses Angebot gestossen und freue mich, nun mitreisen zu können.»

Auf einen Blick wird klar, Handarbeit hat nichts Altbackenes. Es ist Kreativität auf hohem Niveau und die hergestellten Produkte kommen modisch, lässig und fröhlich daher.

Stricken, lachen, plaudern

Die Zeit fliegt so schnell vorbei wie die Landschaft am Zug. Da kommt eine frische Abwechslung sehr willkommen. Regula Mächler offeriert ein Gläschen Sekt und freut sich, mit ihren vielen Gästen und ihrer Mitorganisatorin anzustossen – was im fahrenden Zug nicht ganz einfach ist.

Schon ist der Zug wieder in Rorschach. Einige Frauen steigen aus, fast etwas traurig, dass ihr Strick-Erlebnis schon beendet ist. Nun wird vielen bewusst, dass es höchste Zeit ist, die Arbeiten und Ideen der anderen Mitreisenden genauer unter die Lupe zu nehmen. «Oh, ein Rundenzähler, das hab ich noch nie gesehen. Was sind Creative Bubbles? Garn mit Perlen, das hab ich noch nie verarbeitet.» Fragen über Fragen und alle geben gerne Auskunft.

Und ein absoluter Hingucker ist die neueste Idee der Organisatorinnen: ein ganz spezielles Garn, mit dem witzige und vor allem praktische Spülschwämme in allen Farben und Formen hergestellt werden können. Verschiedene Exemplare werden herumgereicht und wer will, darf die Verarbeitung gleich vor Ort ausprobieren.

Es wird viel gestrickt und gehäkelt am letzten Samstag, dem internationalen Stricktag, im Zug rund um den Säntis. Aber es wird auch viel gelacht und geplaudert. So sind die leicht verwunderten Blicke der Mitreisenden, die «nicht an der Nadel hängen», völlig verständlich. «Es ist etwas lauter als sonst im Wagen», sagt ein junger Herr, der sich vorbei an den strickenden Frauen schlängelt.

Die beiden Organisatorinnen planen, den Strickzug nach Möglichkeit auch im nächsten Jahr wieder anzubieten und geniessen an diesem Tag auch die zweite Runde, die sie mit der S4 unterwegs sind.

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