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Zieglers Reise in die kubanische Realität

Regisseur Nicolas Wadimoff («Spartiates») konfrontiert in seinem neuen Dokumentarfilm «Jean Ziegler – der Optimismus des Willens» seinen ehemaligen Dozenten und glühenden Anhänger der kubanischen Revolution mit der heutigen Realität. 

Südostschweiz
20.01.17 - 13:47 Uhr
Kultur
 «Der Optimismus des Willens»: Der Dokumentarfilm begleitet den Schweizer Soziologen und Buchautor Jean Ziegler auf einer Reise nach Kuba. Pressebild
«Der Optimismus des Willens»: Der Dokumentarfilm begleitet den Schweizer Soziologen und Buchautor Jean Ziegler auf einer Reise nach Kuba. Pressebild

Jean  Ziegler ist sichtlich angetan von Havanna: Keine Reklame! Kein Stau! Kaum Müll, schwärmt er seiner Frau im Taxi vor. Später, als er wegen Herzbeschwerden in einem örtlichen Spital liegt, findet er auch das kubanische Gesundheitswesen grossartig. Und nachdem er vom Fernsehen interviewt wurde, ist der Schweizer Soziologe und Buchautor überzeugt, dass in Kuba Rede- und Pressefreiheit herrscht – worauf der bis auf den hintersten Platz gefüllte Saal in herzliches Gelächter ausbricht.

Doch ganz so einfach, wie es scheint, ist es dann doch nicht: Ziegler ist kein kritikloser Apologet, sondern ganz im Sinn des Filmtitels ein Mann mit dem festen Willen zum Optimismus. Es sei nicht an der Zeit für Kritik, bevor die Revolution nicht zu ihrem Ende gekommen sei, sagt er im Film. Erst wenn das Embargo der USA vollständig aufgehoben sein werde, werde er über Missstände sprechen, die er durchaus erkenne.

Verschiedene Facetten auf engem Raum

Wadimoff flicht in den Hauptstrang, der gemeinsamen Kubareise mit seinem Protagonisten, eine konzentrierte, konzise Zusammenfassung von Zieglers Leben und Wirken von der Kindheit in Thun bis zu seiner bis heute dauernden Arbeit im Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats der UNO. Aktuell liegt ihm vor allem der Kampf gegen die sogenannten Geierfonds, mit denen schuldenbelastete Staaten ausgenommen werden, am Herzen. Der Regisseur zeigt auch den charismatischen Redner, der zum Beispiel vorletztes Jahr am Alternativgipfel am Rande des G-7-Treffens die Massen zu Begeisterungsstürmen hinriss. Und den Buchautor, der in überfüllten Lese-sälen seinen Fans halbseitige Widmungen in die Bücher schreibt. Und, ganz selten, den 82-Jährigen, der über den Tod nachdenkt, den er für «inakzeptabel» hält.

Ziegler übertreibt gern, das ist bekanntlich sein Stil: Schärfe bleibt nun einmal besser im Gedächtnis haften als Ausgewogenheit. Mithin ist das freilich auch unfreiwillig komisch, etwa wenn er sich vor einem Gemälde von Che Guevara bekreuzigt. Auch die Aussage, Che habe ihm das Leben gerettet, weil der Revolutionsführer ihm geraten habe, das «Monster» Kapitalismus im eigenen Land zu bekämpfen statt in Südamerika, mutet etwas seltsam an.

Der Satz fällt in einem Interview mit einer kubanischen Zeitung. Jean Ziegler hätte gern über den Welthunger gesprochen, aber der 

Reporter will lieber hören, wie Che, dem Ziegler als junger Mann anlässlich einer Konferenz in Genf als Chauffeur diente, denn als Person so war? Dass die Beschränkung auf das rein historische Thema ein Maulkorb ist, scheint dem Globalisierungskritiker zu ent-gehen. Auch die regimekritischen Untertöne eines ehemaligen Studenten, der seit zwölf Jahren auf Kuba lebt, überhört Ziegler grosszügig.

Wadimoff geht fair und respektvoll mit seinem Protagonisten um, lässt ihn kommentarlos selber wirken. Das ist manchmal einseitig, aber nicht immer, Ziegler übt durchaus Selbstkritik. Für einige Dinge, die er getan habe, sagt er, sei der Begriff «Dummheit» viel zu schwach – etwa im Zusammenhang mit Muammar el Gaddafi, zu dem er viel zu freundlich gewesen sei. Der Film, der im August am Festival del film in Locarno Premiere feierte, steht auch im Programm der Solothurner Filmtage. (sda)

«Jean Ziegler – der Optimismus des Willens» läuft derzeit in den Deutschschweizer Kinos.

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